Tiermedizin trifft Genetik - Narkosezwischenfälle oder Blutgerinnungsstörungen?

Besser vorher wissen, was kommt.

Narkosen und Operationen sind das tägliche Brot in der Kleintierpraxis. Mit zunehmender Achtsamkeit für die Zahngesundheit nimmt die Häufigkeit der Eingriffe sogar noch zu. Schön ist es, wenn alles immer glatt läuft und der Patient wohl und munter in die Arme der Besitzer:innen zurückkehrt. Doch leider sind sowohl Narkosen als auch Operationen nicht nur in der Tiermedizin mit einem gewissen Risiko behaftet. Wir tun alles, um dieses Risiko zu minimieren: beste Ausbildung bei Tierärzt:innen und TFAs, beste technische Ausstattung und höchste Sorgfalt. Doch haben wir dabei wirklich alle Risikofaktoren im Blick? Es gibt angeborene Erkrankungen, durch die eine Narkose oder ein chirurgischer Eingriff zu einer Tragödie werden kann.

MDR1-Gendefekt

Glücklicherweise ist das Wissen um den MDR1-Gendefekt inzwischen weit verbreitet. Hierbei kommt es zu einer Veränderung des transmembranen Transports niedermolekularer Substanzen z.B. in Darm, Leber und Niere. Durch die Störung der Blut-Hirn-Schranke kann es zu einer Akkumulation toxischer Substanzen in kritischen Bereichen kommen. Betroffene Patienten haben eine deutlich geringere Arzneimitteltoleranz und zahlreiche Pharmazeutika (z.B. Neuroleptika, Opioide, Antibiotika und Antiemetika) müssen in der Dosis reduziert werden. Der MDR1-Defekt tritt sehr häufig bei Collies, Langhaar Whippets und Australian Shepherds auf, wird aber auch bei weiteren Britischen Hütehunden, deren Mischlingen und anderen Rassen (Deutscher Schäferhund, Elo, Mc Nab, Miniature American Shepherd, Shetland Sheepdog, Silken Windhound, Wäller, Weißer Schweizer Schäferhund) und bei der Katze (Maine Coon) beschrieben. Daher erscheint es sinnvoll, bei „verdächtigen“ Patienten vor der Narkose einen Test auf diesen Gendefekt vorzunehmen, wenn dies zuvor nie passiert ist. Bei der Narkosevoruntersuchung ist es zudem unerlässlich, Fragen nach bisherigen Arzneimittelnebenwirkungen zu stellen, um hier Verdachtsmomente zu finden oder auszuschließen.

Malignen Hyperthermie (MH)

Bei der Malignen Hyperthermie (MH) sind die Kalziumfreisetzungskanäle gestört, weshalb Triggersubstanzen wie z.B. Inhalationsnarkotika eine unkontrollierte Kalziumfreisetzung und damit Muskelkontraktionen, Hyperkapnie, Tachykardie, Hyperthermie auslösen können. Ohne sofortige Narkoseunterbrechung kann es zu Arhythmien, Rhabdomyolyse, Nierenversagen und zum Tod kommen. Die Maligne Hyperthermie kann bei jedem Hund vorkommen, tritt allerdings bei dieser Tierart selten auf. Ein weiteres Risiko für die Narkose stellt die Methämoglobinämie (MetHg) beim Zwergspitz dar, die die ausreichende Sauerstoffversorgung des Gewebes bedroht.

Von-Willebrand-Krankheit (vWD)

Das Schreckgespenst aller Chirurg:innen ist eine unstillbare Blutung während oder nach der Operation. Diese kann – erblich bedingt – durch den Mangel an verschiedenen Gerinnungsfaktoren verursacht werden. Der Mangel an Von-Willebrand-Faktor führt zu herabgesetzter primärer Thrombenbildung. Die Liste der von der Von-Willebrand-Krankheit (vWD) betroffenen Rassen ist lang: Berner Sennenhund, Coton de Tulear, Deutscher Pinscher, Dobermann, Drentse Patrijshond, Irish Red and White Setter, Irish Red Setter, Kerry Blue Terrier, Kromfohrländer, Manchester Terrier, Papillon, Pudel, Stabijhoun, Welsh Corgi Pembroke, Deutsch Drahthaar, Deutsch Kurzhaar, Kooikerhondje, Schottischer Terrier, Shetland Sheepdog. Bei der Hämophilie A fehlt Faktor VIII, bei Hämophilie B der Faktor IX. Beide werden x-chromosomal rezessiv vererbt, weshalb vor allem Rüden betroffen sind. Die Rassen sind: Bobtail, Boxer, Deutscher Schäferhund, Havaneser, Labrador Retriever, Rhodesian Ridgeback (Faktor VIII-Defizienz) und Amerikanischer Akita, Hovawart, Lhasa Apso, Rhodesian Ridgeback (Faktor IX-Defizienz). Zu postoperativen Blutungen kommt es beim Kerry Blue Terrier durch eine Faktor-XI-Defizienz. Ein Drittel aller Großen Schweizer Sennenhunde tragen durch „P2Y12“ eine Postoperative Blutungsneigung in sich, welche zu schweren, häufig unstillbaren Blutungen nach größeren Operationen führt. Bei der Postoperativen Blutungsneigung „DEPOH“ kann es bei Greyhounds und Scottish Deerhounds bis zu 4 Tage post-op zu offenen Blutungen in wundnahen Bereichen (ggf. auch im Abdomen) oder zu übermäßiger Hämatombildung kommen. Eine ebenfalls schwere Form der Blutungsneigung ist die Afibrinogenämie (AFG) beim Dackel, dem dann der Faktor I (Fibrinogen) fehlt. Eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung spielen die Thrombozyten, deren Aktivierung bei zwei angeborenen Erkrankungen gestört ist: bei der Hämorrhagischen Diathese (Scott-Syndrom) des Deutschen Schäferhundes und bei der Glanzmann-Thrombasthenie (GT) des Pyrenäen-Berghundes.

Fazit

Zu unseren Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit einer OP-Vorbereitung gehört nicht nur das Zurechtlegen der Medikamente und Instrumente. Um die Sicherheit unseres Patienten im OP so gut wie möglich zu gewährleisten, sollten wir auch die Risikofaktoren erkennen, die im Erbgut versteckt sind. Hilfreich dabei ist eine gründliche Befragung der Besitzer:innen, um von früheren Arzneimittelnebenwirkungen, Narkosekomplikationen oder ungewöhnlichen Blutungen, vielleicht auch bei Geschwistern oder Elterntieren, zu erfahren (denn rassespezifische Gendefekte können auch bei Mischlingen auftreten). Wenn durch die Anamnese oder durch die Zugehörigkeit zu einer betroffenen Rasse ein erhöhtes Risiko offenbar wird, ist eine genetische Abklärung vor der Planung des Eingriffs unbedingt angeraten.

Weitere Infomationen: Tiermedizin trifft Genetik (laboklin.de)