Expertenrunde zur Thrombozytopenie

Die Laboklin Expertenrunden sind beliebte online Gesprächsabende, in der die eingeladenen Expert:innen sich intensiv mit den Fragen des Publikums auseinandersetzen. Wir haben einige Highlights aus der Expertenrunde zur Thrombozytopenie für Sie herausgesucht. Teilnehmer:innen der Expertenrunde waren: Prof. Dr. Barbara Kohn aus der FU Berlin. Die Hämatologie ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. Als Intensivmedizinerin bringt Dr. Nadja Sigrist, die eine eigene Firma mit Weiterbildungs- und Consulting-Tätigkeit im Bereich Notfall- und Intensivmedizin betreibt, viel Erfahrung auf dem Gebiet mit. Eine weitere Expertin auf dem Gebiet der Hämatologie ist Dr. Vera Geisen aus der LMU München. Sandra Lapsina ist Diplomate des European College of Veterinary Clinical Pathology und betreut klinische Labordiagnostik bei Laboklin. Prof. Dr. Wolfgang Bäumer ist Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie des Fachbereiches Veterinärmedizin der FU Berlin.

Gleich zu Anfang wird geklärt, dass eine Thrombozytopenie im Blutbefund zunächst verifiziert werden muss, bevor sie diagnostisch weiterverfolgt wird. S. Lapsina erläutert, dass die maschinelle Zählung durch aggregierte Thrombozyten oder dem Vorhandensein von sehr großen Thrombozyten beeinflusst werden kann. Dr. Sigrist schätzt Thrombozytopenien unter 50 G/l (50.000/µl) als potentiell riskant ein. Spontanblutungen treten in der Regel allerdings erst ab Werten unter 20 G/l auf.

Die Zahl ist jedoch nur ein grober Anhaltspunkt. Prof. Kohn gibt zu bedenken, dass die Blutungstendenz von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist. So kann die hohe Funktionalität junger Thrombozyten auch bei starken Thrombozytopenien Blutungen verhindern. Eine Hyperglobulinämie auf der anderen Seite kann zu Blutungsneigungen im vermeintlich „sicheren“ Bereich führen.

Dr. Geisen gibt einen Überblick über die Ursachen einer Thrombozytopenie: Die Umverteilung von Blutplättchen in die Milz (Sequestration), z.B. bei einer Vergrößerung der Milz durch eine Infektionskrankheit oder ein Milztumor, führt oft nur zu einer geringgradigen, klinisch nicht relevanten Thrombozytopenie. Auch der Verlust von Thrombozyten im Rahmen einer akuten Blutung hat in der Regel lediglich eine leichte bis moderate Reduktion der Plättchenzahlen zur Folge. Relativ häufig zu beobachten sind Thrombozytopenien in Folge eines Verbrauches im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC). Oft sind auch hier die Blutplättchen eher mild bis moderat erniedrigt, es kann aber auch eine hochgradige Thrombozytopenie entstehen. Die Zerstörung von Blutplättchen kann z.T. höchstgradige Thrombozytopenien auslösen. In den meisten Fällen handelt es sich um eine immun-mediierte Zerstörung. Diese ist allerdings sehr häufig assoziiert mit einem Auslöser, der oft infektiöser Natur ist. Aber auch sterile Entzündungen, Medikamente, Impfungen und Neoplasien kommen in Frage. Erst wenn kein Trigger gefunden wird, kann von einer primären (nicht-assoziierten) immun-mediierten Thrombozytopenie (ITP) gesprochen werden. Weiterhin kann ein Problem im Knochenmark zu reduzierter Bildung und damit einem Mangel an Thrombozyten führen. Zu Grunde liegen können Infektionen (z.B. Ehrlichien, Leishmanien, FeLV), Medikamente oder Neoplasien. Die Ausprägung reicht von mild bis hochgradig. Zudem sind angeborene Thrombozytopenien bei verschiedenen Rassen bekannt.

Ich schätze Thrombozytopenien unter 50 G/l (50.000/µl) als potentiell riskant ein. Spontanblutungen treten in der Regel allerdings erst ab Werten unter 20 G/l auf."

Nadja Sigrist Dr.med.vet., Small Animal Specialist FHV, Dipl. ACVECC & ECVECC

Rassebedingten Thrombozytopenien

Zu den rassebedingten Thrombozytopenien weiß S. Lapsina zu berichten, dass ein Beta-Tubulin-1-Defekt, der v.a. bei Cavalier-King-Charles-Spaniel, Norfolk- und Cairn-Terriern auftritt, zu so genannten Makrothrombozytopenien führt. Hierbei sind insgesamt weniger dafür aber größere Thrombozyten im Blut vorhanden. Der Thrombokrit bleibt physiologisch und die Patienten bluten nicht. Unabhängig davon werden rassetypische, niedrige Thrombozytenzahlen bei Windhunden, besonders beim Greyhound, und beim Akita beobachtet. Grundsätzlich kann eine angeborene Thrombozytopenie bei Hunden jeder Rasse und auch bei Mischlingen vorkommen, wie Fallberichte immer wieder bestätigen.

Prof. Kohn erläutert, an welche Infektionserreger im Rahmen der Ursachenforschung für eine Thrombozytopenie gedacht werden sollte. Für den Hund sind dies Anaplasma phagocytophilum, Ehrlichia canis, Babesien, Dirofilarien, Hepatozoon, Leishmanien. Bei Katzen insbesondere FIV, FeLV und FIP, aber auch Anaplasmen und Bartonellen. Bei beiden Tierarten können Angiostrongylus vasorum und praktisch jede bakterielle Infektion ursächlich für eine Thrombozytopenie sein.

Medikamente können als Haptene mit den Oberflächenstrukturen von Zellen interagieren, was dazu führen kann, dass diese als fremd erkannt werden, und die Bildung von Autoantikörpern initiiert wird. Prof. Bäumer berichtet, dass beim Menschen solche Reaktionen durch Rifampicin, Penicillin, Sulfonamid/Trimethoprim, Heparin und Nicht-steroidale Antiphlogistika ausgelöst werden. Beim Hund sind Thrombozytopenien durch Sulfonamide, Cephalosporine und Goldsalze (nicht Goldimplantate) in Studien beschrieben.

Prof. Kohn gibt eine Übersicht über die diagnostische Aufarbeitung einer Thrombozytopenie. Nach Bestätigung des maschinellen Blutbefundes mittels Blutausstrich wird die Wahrscheinlichkeit der möglichen Differentialdiagnosen anhand der Schwere der Thrombozytopenie, Signalement und Anamnese (u.a. Rasse, Alter, Medikamentenhistorie, Zeckenschutz, Auslandsaufenthalt) sowie möglichen zusätzlichen Symptomen, die im Rahmen von mit sekundärer ITP oder DIC einhergehenden Erkrankungen auftreten können, erörtert. Hunde mit primärer ITP können von recht gutem Allgemeinbefinden sein, wenn nicht z.B. eine Blutungsanämie vorliegt. Mittels einer ausführlichen Ausschlussdiagnostik sollte jeder mögliche Trigger überprüft werden. Thrombozyten-gebundene Antikörper (ATK) zeigen im positiven Fall ein immunologisches Geschehen an, schließen bei negativem Befund eine ITP aber nicht aus. Eine Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer ITP ist mittels Antikörper-Test nicht möglich, nach möglichen Auslösern muss dennoch gesucht werden. Ein negatives Ergebnis im Referenzbereich schließt eine ITP nicht aus.

Wie man Thrombozytopenie-induzierte Blutungen von solchen unterscheidet, die durch eine sekundäre Gerinnungsstörung ausgelöst wurden und lediglich als Folge mit einer Thrombozytopenie einhergehen, möchten das Publikum wissen. Dr. Geisen erklärt, dass wir bei der primären Hämostasestörung (Thrombozytopenie/-pathie) vor allem Blutungen in die Haut/Schleimhaut oder ins Auge sehen, die als Petechien (stecknadelkopfgroß) oder Ekchymosen (münzgroß) erscheinen. Auch Epistaxis und Meläna treten auf. Im Gegensatz dazu führen sekundäre Hämostasestörungen (Gerinnungsfaktorenmangel, z.B. durch Coumarin-Intoxikation) zu großen Einblutungen in die Unterhaut (Hämatome), in Körperhöhlen und auch in Gelenke. S. Lapsina fügt hinzu, dass die Überprüfung der Blutgerinnung bei Unklarheiten hilfreich sein kann. Zudem ist die Untersuchung bei Hinweisen auf DIC nützlich. Hier kann auch die Bestimmung von D-Dimeren weiterhelfen.

Hinsichtlich der Therapie sind sich alle einig, dass nach Ausschluss von Neoplasien oder anderen offensichtlichen Triggern Doxycyclin gestartet wird, bis die Ergebnisse der Infektionserreger-Diagnostik vorliegen. Dr. Sigrist erwägt den frühzeitigen Einsatz von Glukokortikoiden, wenn Thrombozytopenie-induzierte Blutungen vorhanden sind und/oder die Thrombozytenzahlen unter 30 G/l liegen.

Die primäre ITP wird mit Immunsuppressiva behandelt. Auch die Behandlung einer durch andere Erkrankungen ausgelösten, sekundären ITP bedarf, insbesondere wenn ATK nachgewiesen wurden, gelegentlich einer angepassten immunsuppressiven Therapie. Prof. Kohn merkt jedoch an, dass sie momentan viele Patienten mit Babesien oder Anaplasmen sieht, diese benötigen in aller Regel keine Glukokortikoide.

Glukokortikoide haben neben der immunsuppressiven Wirkung zusätzlich gefäßabdichtende Eigenschaften. Somit kommt ihnen als Immunsuppressivum der ersten Wahl bei der ITP eine besondere Bedeutung zu."

Prof. Dr. Wolfgang Bäumer, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie des Fachbereiches Veterinärmedizin der FU Berlin

Prof. Bäumer berichtet, dass Glukokortikoide neben der immunsuppressiven Wirkung zusätzlich gefäßabdichtende Eigenschaften haben. Somit kommt ihnen als Immunsuppressivum der ersten Wahl bei der ITP eine besondere Bedeutung zu.

Als Alternativen dazu, bzw. als zweites Immunsuppressivum, zählt er Cyclosporin A, Azathioprin, Mycophenolat Mofetil und Leflunomid auf. Cyclosporin zeigt eine ausgeprägte Wirkungslatenz, während für Mycophenolat Mofetil und Azathioprin ein schnellerer Wirkeintritt beschrieben ist. Letzteres darf allerdings nur beim Hund eingesetzt werden. Für Mycophenolat Mofetil ist eine Produktentwicklung für den Hund unterwegs. Das Präparat soll den Wirkspiegel über einen längeren Zeitraum stabil halten und dabei deutlich weniger gastrointestinale Nebenwirkungen auslösen.

Bei nicht adäquatem Ansprechen innerhalb einiger Tage von kritischen Patienten auf die initial eingesetzte Therapie setzt Prof. Kohn einmalig humane Immunglobuline oder Vincristin (nicht bei der Katze) ein. Prof. Bäumer erklärt den Wirkmechanismus des Vincristins mit einer Stimulation der Thrombopoese bei gleichzeitiger Hemmung der Phagozytose. Die Funktionalität der Thrombozyten wird nicht beeinträchtigt. Er weist darauf hin, dass die Dosis ein Zehntel der normalen Chemotherapiedosis (0,02 mg/kg) beträgt und dass es nicht in Kombination mit Cyclosporin verabreicht werden darf. Die humanen Immunglobuline wirken, indem sie unter anderem die Phagozytenaktivität reduzieren. Prof. Kohn hält sie für sicher und wirksam. Allerdings sind sie in der notwendigen Dosis (0,5 – 1,0 g/kg) kostspielig und müssen über 6 – 8 Stunden mittels Perfusor infundiert werden.

Dr. Geisen gibt ein zweites Immunsuppressivum, wenn deutliche Hinweise auf Blutungen bestehen, das Glukokortikoid alleine keine ausreichende Wirkung zeigt oder die Nebenwirkungen zu stark sind und die Dosis gesenkt werden muss. Die Kombination von drei immunsupprimierenden Medikamenten ist mit Vorsicht zu betrachten. Es gibt keine Studien hierzu und das Risiko für das Entstehen einer Sekundärinfektion steigt.

Erfahrungen zu Romiplostim

Das Publikum ist interessiert an Erfahrungen zu Romiplostim, einem Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten. Prof. Kohn hat diesen bei mehreren Patienten mit ITP eingesetzt. Es wirkt bei einigen Hunden gut, allerdings handelt es sich eine um eine sehr kostenintensive Dauertherapie. Auf die Splenektomie angesprochen erklärt Prof. Kohn, dass dies nur die allerletzte Option sein sollte. Es kann zu Rezidiven kommen, obwohl die Milz entfernt ist. Denn auch in der Leber können Thrombozyten phagozytiert werden.

Zum Thema Bluttransfusionen wird Dr. Sigrist befragt. Sie setzt am liebsten frisch gewonnenes Vollblut ein. Patienten mit ernsten Thrombozytopenien haben meist durch Blutungen eine leichte bis schwere Anämie und profitieren davon, dass auch Erythrozyten zugeführt werden. Bluttransfusionen führen leider in dem meisten Fällen nur zu einem sehr geringen Anstieg der Thrombozytenzahlen beim Empfänger. Hinzu kommt, dass Blutplättchen eine kurze Lebenszeit (unter 24 h) besitzen. Aber die Transfusion kann dem Patienten Zeit verschaffen, bis die Medikamente zur Wirkung kommen, und bereits eine geringe Steigerung der Thrombozytenzahl kann spontane Blutungen übergangsweise stoppen. Die Expert:innen sind sich einig, dass eine Transfusion wenig sinnvoll ist, wenn der Patient nicht blutet.

Wie lange wird therapiert?

Dr. Geisen erklärt, dass das Therapieziel eine Thrombozytenzahl über 100 G/l ist. Ist dies erreicht, kann die Prednisolondosis um etwa 25 % reduziert werden. Bei stabilem Verlauf kann die Dosis alle 14 Tage reduziert werden, zuerst in großen, später in kleineren Schritten, zuletzt ausschleichend. Blutkontrollen müssen regelmäßig, jeweils 7-10 Tage nach der Dosisänderung, durchführt werden. Nicht immer ist das vollständige Absetzen der Medikamente möglich. Etwa die Hälfte aller Patienten benötigt eine langfristige bis lebenslange Therapie.

Prof. Kohn antwortet auf die Frage nach der Impfung, dass hier, auch wenn in der Tiermedizin nur wenige Daten vorliegen, Vorsicht geboten ist. Die StiKo Vet empfiehlt, sich auf Core-Vaccinen zu beschränken, wenn möglich Titerbestimmungen durchzuführen und die Notwendigkeit der Impfung streng abzuwägen. Es erscheint zudem sinnvoll, die Impfung in ihre Einzelkomponenten zu splitten und die Thrombozytenzahlen vor und nach der Impfung zu kontrollieren.