Irrwege in der Rassezucht: Höchste Zeit für Korrekturen

Ein Blick in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Hundezucht.

Aktuelle genetische Forschungen bestätigen, was Tierärztinnen und Tierärzte bereits seit Jahrzehnten beobachten. Reinrassige Zucht auf extreme Größen, extravagante Anatomien und Farben, babyhafte Kurzköpfe und schrullige Charakterprofile oder Korkenzieherschwänze hat zu über achtzig verschiedenen Krankheitsneigungen und Funktionsausfällen geführt. Vieles von dem, was uns Menschen in der Zucht gefiel, hat bei Hund und Katze zu gesundheitlichen Desastern geführt. Zugleich sind schwere Degenerationen durch exzessive Inzucht zu beklagen. Mit weit über fünfhundert Erbleiden haben wir keine andere Art so krank gezüchtet wie den Hund: Unsere heutige reinrassige Zucht frisst ihre eigenen Kinder. Und noch schlimmer: Viele aktuelle Zuchtformen verstoßen seit zehn Jahren eindeutig gegen das Tierschutzgesetz – und kaum jemand tut etwas!

Achim Gruber hat dazu bereits im Jahr 2019 mit seinem Bestseller „Das Kuscheltierdrama“ viel Aufsehen erregt. Sein neues Sachbuch „Geschundene Gefährten“ ist die dringend erwartete Fortsetzung, denn diese eine Frage ist unvermeidbar: „Was ist zu tun?“ Der Autor liefert Antworten und Argumente und zeigt zahlreiche Auswege, die aus den gesundheitlichen Dilemmata wieder herausführen können. Er macht Hoffnung, dass eine gesunde Zukunft für viele unserer „besten Freunde“ noch möglich ist.

Am wichtigsten ist unsere tierärztliche Aufgabe bei der Aufklärung der Öffentlichkeit, und hier ganz besonders der Menschen, die vor einer Kaufentscheidung stehen."

Prof. Dr. Achim D. Gruber

Drei Fragen an Achim Gruber

Allein in den letzten 12 Jahren haben sich die Zahlen an Hunden und Katzen in deutschen Haushalten etwa verdoppelt. Ist das der Grund, warum wir mit dem Thema „Qualzucht“ inzwischen vermehrt konfrontiert werden?

Ja, denn die immer weiter zunehmende Bedeutung und Popularität von Haustieren hat auch dazu beigetragen, dass ständig neues Interesse an extravaganten Zuchtformen, Extrem-Anatomien und vermeintlich hübschen Farbvarianten entsteht. Haustiere sind zu Markenprodukten geworden, und von Marken erwarten wir immer neuen Look, frische Modellvarianten, noch attraktivere Metallic-Lackierungen und andere Fun-Faktoren. Dabei geht es nicht nur um Äußerlichkeiten, denn viele Hunde und Katzen bedienen auch unsere tiefen Bedürfnisse nach einem Sozialpartnerersatz, Kindersatz oder aktivere Freizeitgestaltung. Dagegen wäre auch nichts zu sagen, wenn es für die Tiere nicht so viel Leid bedeuten würde. Denn bei Zuchttieren handelt es sich bei den meisten Rassenunterschieden und „Modellvarianten“ um genetische Unfälle und Missbildungen, die oft auch zu schweren gesundheitlichen Nebenwirkungen führen. Die „Verbraucher“ und selbst viele Züchtende jedoch kennen weder die Hintergründe noch die fatalen Folgen für die Tiere und sich selbst. Das muss sich ändern!

Sollten wir die Rassezucht abschaffen?

Natürlich nicht: Wir müssen die Rassen und die Art, wie wir sie züchten, nur korrigieren und renovieren! Ich sehe ganz klar viele Wege, wieder zu gesunden Rassen zu kommen. Dazu müssen wir viele Rassestandards ändern oder sie einfach ignorieren, und vor allem müssen wir Abstand nehmen vom Rassenreinheitsfetischismus. Viele heutige Rassen sind nur zu retten, wenn wir punktuell oder ganz systematisch andere Rassen einkreuzen. Der Retromops und die Prokromfohrländer haben das auf vorbildliche Weise gezeigt! Es gibt noch viele weitere wertvolle Alternativen, nicht zuletzt gut ausgesuchte Designerdogs, also Maltipoo, Labradoodle & Co.

Welche Botschaft haben Sie für die Kolleg:innen in der Praxis?

Wir Tiermediziner:innen kennen ja die vielen Dramen nur zu gut. Wir müssen uns aber freimachen von Schein-Argumenten wie „rassetypisch normal“, „von Natur so“ oder „Kulturgut“. Rassen wurden immer schon verändert und an neue Bedürfnisse angepasst, und nie waren die Gründe dafür so stark wie heute!

Am wichtigsten aber ist unsere tierärztliche Aufgabe bei der Aufklärung der Öffentlichkeit, und hier ganz besonders der Menschen, die vor einer Kaufentscheidung stehen: Welche Rassenauswahl macht Tier und Mensch nachhaltig glücklich? Und welche Rasse mit welchen Gesundheitsbelastungen unterstütze ich durch meine Kaufentscheidung? Die größte Macht hat auch hier der Käufer. Genau für diese Menschen habe ich das Buch geschrieben.