Praxisreportage: Zukunftssichere Zeiten in Bramsche!

Der Verkauf des Tiergesundheitszentrums Bramsche an die Praxisketten war auch ein Thema, jedoch haben die Esther und Carsten Grußendorf einen anderen Weg beschritten und mit Dr. Jens Fischer einen Geschäftsführer installiert, der das Unternehmen in enger Abstimmung weiterentwickelt. JUST4VETS war in Bramsche zu Gast und hat den Hauptakteuren über die Schulter geschaut.

Bramsche, die Gemeinde im Landkreis Osnabrück, kennen geschichtlich Interessierte, da sich hier im Jahr 9 nach Christus höchstwahrscheinlich die Varusschlacht im Teutoburger Wald ereignete. Autofahrer:innen wissen um die eigene Autobahnabfahrt und fluchen wegen der regelmäßigen Staumeldungen im Radio. In der Veterinärbranche jedoch ist Bramsche seit Jahrzehnten ein Begriff und das Tiergesundheitszentrum eine Institution.

3 Generationen - 90 Jahre

Seit drei Generation kümmert sich die Familie Grußendorf hier um die Tiermedizin. 1932 war es Großvater Helmut Grußendorf, der ein Zimmer im Central Hotel anmietete, um hier seine Praxis einzurichten und von dort aus per Motorrad seine Kunden besuchte. 37 Jahre später übernahm dessen Sohn Heinrich die Praxis und baute gemeinsam mit seiner Frau Bärbel parallel den Kleintierbereich aus. 1980 wurde die Praxis als zweite überhaupt in Niedersachsen als „Tierärztliche Klinik“ zugelassen. 2001 stieg dann Sohn Carsten mit ein und übernahm die Leitung der chirurgischen Abteilung. Bereits sieben Jahre später wurde die gvp-zertifizierte Klinik an Esther und Carsten Grußendorf übertragen und seitdem stetig weiterentwickelt. Die Beiden haben sich jedoch 2022 entschlossen, sich vermehrt um die tiermedizinische Entwicklung am Standort Bramsche zu konzentrieren und haben im November des vergangenen Jahres mit Dr. Jens Fischer einen erfahrenen Klinikmanager eingestellt. "Damit wir hier die nächsten Entwicklungsschritte umsetzen können, war diese Maßnahme unumgänglich", fasst Carsten Grußendorf zusammen, der den promovierten Physik-Ingenieur wegen seiner Power, seiner erfolgreichen Arbeit bei nationalen und internationalen Medizintechnik-Unternehmen und wegen seiner ausgeprägten Menschenkenntnis schätzt. Fischer und die Grußendorfs kannten sich bereits, bevor Fischer 2009 das Tumor- und Strahlentherapiezentrum in Bramsche mit geplant und umgesetzt hat.

Mein Ziel besteht u.a. darin, die Prozesse in der Klinik zu optimieren, den Nachhaltigkeitsgedanken im Betrieb zu integrieren und eine Arbeitgebermarke zu prägen."

Dr. Jens Fischer, Praxismanager im TGZ Bramsche

Prozessoptimierung, Nachhaltigkeit und Arbeitgebermarke

Jens Fischer, der früher regelmäßig tausende Flugmeilen hinter sich brachte, um seinen Job machen zu können, genießt es nun, mit dem Fahrrad zu seinem Arbeitsplatz fahren zu können. Sein Ziel besteht u.a. darin, die Prozesse in der Klinik zu optimieren, den Nachhaltigkeitsgedanken im Betrieb zu integrieren und eine Arbeitgebermarke zu prägen. Um zu verstehen, wer die Menschen im Unternehmen sind, hat er sich zu Beginn seiner Tätigkeit mit jedem der 90 Mitarbeitenden jeweils für eine Stunde zusammengesetzt. "Ich war erfreut über ganz viel Offenheit, die ich erfahren habe", erklärt der Geschäftsführer, der mit seinem Team sehr viel gemeinschaftlich entschieden und umgesetzt hat. So wurde auch für jeden Arbeitsplatz eine Stellenbeschreibung erarbeitet, das Potential eines jeden erhoben und Maßnahmen definiert, um die Mitarbeitenden weiter zu entwickeln. Darüber hinaus wurde sowohl für die Tierärzt:innen als auch für die TFA's das dreistufige Grußendorf-Tarifmodell entwickelt, das auf Leistung, Potential und Entwicklung basiert.

Als Arbeitgeberleistung nennt Fisher den "Hundekindergarten", der für die Tiere der Mitarbeitenden eingerichtet wurde. Der Rahmen, bzw. die Räumlichkeiten hierfür wurden gestellt, die Organisation inkl. Betreuung, Säuberung und Versorgung übernimmt das Team. "Jeder der Mitarbeitenden leistet monatlich einen kleinen Eigenanteil, der dann wieder in das Projekt investiert wird", so Fischer, der zusätzliche Leistungen, wie Leasingfahrräder, Tierkrankenversicherungen, soziale Pakete und innerbetriebliche Förderungen, hinweist, auf die die Mitarbeitenden zugreifen können.

Ausbildungsschmiede

Das Tiergesundheitszentrum (TGZ) hat sich im Laufe der Jahrzehnte einen Namen als Ausbildungsschmiede gemacht und hat derweil als eine der wenigen Praxen keine Nachwuchsprobleme. "Wir sind in der glücklichen Lage, eine Warteliste mit Bewerber:innen zu haben, die bei uns anfangen wollen", erklärt der Klinikmanager, der mindestens ein Gespräch pro Woche mit Arbeitssuchenden führt. "Ich möchte im Vorfeld wissen, ob die Tierärzt:innen und Tiermedizinische Fachangestellte zu uns und unserem Team passen", schildert Fischer. "Wir vereinbaren im besten Fall eine zweitägige Hospitanz und entscheiden danach gemeinsam, ob es passt oder nicht." Viele angehende Tierärzt:innen kennen das Tiergesundheitszentrum, weil sie hier ein Praktikum gemacht haben, bzw. an Fortbildungen teilgenommen haben. In Bramsche werden vier Kliniktage zu den verschiedensten Fachgebieten für Studierende veranstaltet, an denen die Tierärzt:innen des TGZ zur praktischen Mitarbeit einladen und auch ergänzende Vorträge halten. "Jedes Mal können sich dann zwischen 40 und 50 Studierende ein Bild von uns machen, und wir präsentieren uns dann als potentieller Arbeitgeber", fasst Fischer zusammen.

Carsten Grußendorf schwärmt von der Entscheidung, Jens Fischer die Geschäftsführung übertragen zu haben. "Dadurch bin ich in der glücklichen Lage, mir eine neue tiermedizinische Spielwiese suchen zu können, auf der ich mich austoben kann", so der Praxisinhaber. Eine der "fachlichen Grasflächen" der Vergangenheit war die Strahlentherapie, die als eine der ersten Tierkliniken in Deutschland aufgebaut haben und die noch heute erfolgreich eingesetzt wird. "Nun haben wir uns die OP-Vorbereitung vorgenommen, die wir deutlich verbessern wollen", so Grußendorf, der sich wie ein Kind auf den vollautomatischen Kommissionier-Roboter freut, der die Prozesse optimiert, Fehler vermeidet und Kosten senkt. Zeit bleibt darüber hinaus, sich auch bundesweit für die Weiterbildung der Kolleg:innen aktiv einzusetzen. Carsten Grußendorf ist beispielsweise Mitglied des Programmkomitees der bpt-INTENSIV Tagung, die Ende April den neuesten Stand zur Notfallmedizin bei Klein- und Heimtieren vermitteln wird.

Blick in die Zukunft

Carsten und Esther Grußendorf verspüren große Lust, ihr Zentrum weiter zu entwickeln. Esther Grußendorf: "Uns ist es wichtig, auch weiterhin als Innovationsschmiede im Markt sichtbar und transparent zu sein." Ein Beispiel dafür ist der Einsatz des endoskopischen Ultraschalls (EUS), der bislang nur an Unikliniken und ausgewählten Fachkliniken genutzt wurde und nun erstmals auch in der Tiermedizin eingesetzt wird. "Mit dem EUS können wir durch die Kombination aus Endoskopie und Ultraschall, ultraschall-geführte minimalinvasive Gewebeproben entnehmen oder eine Ultraschalluntersuchung anliegender Organe von innen durchführen", erklärt Grußendorf.

In Bramsche verfügt man schon jetzt über ein eigenes, hochmodernes Labor, doch das wird in naher Zukunft deutlich modernisiert und vergrößert. "Unser Ziel ist es, die Prozesse und die Abläufe zu verbessern, Fehler zu minimieren und Zeit zu sparen", berichtet Fischer, "dafür wird zentral in der Klinik ein großer Raum mit neuester Technik ausgestattet und unser Team weiterentwickelt." Er will jedoch das Thema Künstliche Intelligenz nicht außer Acht lassen und ist mit Startups im Gespräch, mit denen er kooperieren will, um künftig perfekt aufgestellt zu sein.

Derzeit wird mit Hochdruck am Ausbau einer neuen Etage gearbeitet, die nicht nur abgetrennte Arbeitsbereiche für die leitenden Personen und mobile Arbeitstische für die Mitarbeitenden, sondern auch Platz für Vorträge vorsieht, an denen 200 Personen teilnehmen können. Erstmals wird im Herbst 2023 eine solche Großveranstaltung für Tierärzt:innen stattfinden, doch auch Premium-Ausbildungstage mit starkem Praxisbezug sind in der Planung, ebenso wie die vier Kliniktage für Studierende und der Tag der offenen Tür am 3. Juni.

Für den Standort Bramsche wird in diesen Zeiten die Basis bereitet, dass hier Tiermedizin auch noch in den kommenden 90 Jahren eine wichtige Rolle spielt - und zwar immer mit einer großen Portion menschlicher Note.

Andreas Moll