Praxisreportage: "Frischer, neuer, alter Wind in Ahlen!"

Dr. Stefanie Neumann leitet seit Anfang 2023 die Geschäfte des Anicura Fachzentrums für Kleintiere. Nach ihrer Promotion an der veterinärmedizinischen Fakultät in Leipzig kam die Tierärztin 2006 nach Ahlen und hat unter der Leitung von Klinikgründer, Dr. Gereon Viefhues, die rasante Entwicklung der Kleintierklinik wesentlich mitbestimmt. Nach dem Verkauf an die Anicura-Gruppe und dem Ausscheiden Viefhues' aus der Geschäftsführung, trägt die 42-Jährige nun die alleinige Verantwortung für die Entwicklung des Fachzentrums und seiner 114 Arbeitnehmenden und möchte in Ahlen "eigene Abdrücke" hinterlassen. JUST4VETS war zu Gast in Ahlen und wollte wissen, was sich in den letzten Jahren getan hat und wie Tiermedizin zukünftig am Standort Ahlen angeboten wird.

Ahlen, eine Stadt mit gut 55.000 Einwohner:innen, liegt im westfälischen Münsterland gut 60 Kilometer von Dortmund und 40 von Münster entfernt. Ein golden gekrönter, siebenfach geflügelter silberner Aal, so will es die Legende, ist der Namensgeber der Stadt, die keinesfalls mit dem zwar gleich lautenden, jedoch anders geschriebenen und am nordöstlichen Rand der Schwäbischen Alb gelegenen Aalen verwechselt werden darf.

Dr. Gereon Viefhues hatte sich Mitte der 1990er Jahre in der Innenstadt des westfälischen Städtchens mit einer kleinen Kleintierpraxis selbstständig gemacht. Der Visionär entwickelte sein Gesundheitsunternehmen spätestens nach dem Umzug an den jetzigen Standort in der Bunsenstraße zu einem der angesehensten, überregionalen Überweisungszentren in Deutschland. Mehr als 17 Jahre lang hat Stefanie Neumann, die als junge Tierärztin nach ihrem Studium in Leipzig und Berlin nach Ahlen kam, die Entwicklung Schritt für Schritt miterlebt und maßgeblich gestaltet. Sie leitet neben ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Anicura-Standortes zusätzlich die Abteilung für Innere Medizin und findet darüber hinaus noch die Zeit, ihre internistischen Fälle zu bearbeiten. "75 % meiner Zeit verwende ich für die Tätigkeiten als Geschäftsführerin und ein Viertel für meine tierärztliche Arbeit", fasst Neumann zusammen.

Auf die Frage, warum sie Tierärztin geworden sei, erklärt sie, dass dies sicherlich damit zu tun habe, dass sie als Kind keine Haustiere haben durfte. Hinter dem Rücken ihrer Eltern kaufte sie sich trotzdem eine weiße Maus, um die sie sich kümmern konnte. "Ich war und bin wie ich bin, ein Kümmerer", erklärt Stefanie Neumann, die sich ganz und gar zu ihrem Helfertrieb bekennt.

Hier geht es darum, die vielen, unterschiedlichen Prozesse so zu gestalten, dass sich alle verantwortlich daran beteiligen können."

Dr. Stefanie Neumann, Anicura Ahlen

Der Ahlener Traum - von der Assistenztierärztin zur Geschäftsführerin

Als die damals junge Veterinärmedizinerin nach dem Studium 2016 in Ahlen als Assistenztierärztin startete, hing im Eingangsbereich ein Bild, auf dem alle 16 Mitarbeitenden, darunter fünf Tierärzt:innen, der Klinik zu sehen waren. Die ehrgeizige Jungtierärztin hatte in Ahlen die Möglichkeit, sich persönlich und fachlich weiterzuentwickeln. Nach der Assistenzzeit bildete sie sich zur Fachtierärztin sowohl für Kleintiere als auch für Innere Medizin weiter, erlangte die Zusatzbezeichnung Kardiologie und war lange Jahre als Oberärztin tätig, bis sie nach dem Ausscheiden des Klinikgründers die Geschäftsführung des Kleintierzentrums übertragen wurde. "Ich habe hier eine sehr turbulente und inspirierende Zeit gehabt und kann sagen, dass ich ohne Gereon Viefhues niemals dort gelandet wäre, wo ich mich heute befinde", fasst sie zusammen. Ihren Ex-Chef beschreibt sie als einen getriebenen, sehr zielorientierten Menschen, der stets seiner Zeit voraus war und die Kleintiermedizin in Deutschland aktiv mitgestaltet hat. "Für uns war früher das Thema Work-Life-Balance nicht sonderlich spürbar, da für uns Arbeitszeit mit Lebenszeit gleichgestellt war", erklärt die Klinikchefin, die sich bewusst ist, dass sich die Zeiten geändert haben.

Neumann: "Ich bin ein Hybrid!"

Stefanie Neumann ist sehr zufrieden, dass sie sowohl die Zeiten mitgemacht hat, in denen bis zur Selbstaufgabe gearbeitet wurde und nun in Kontakt mit der neuen Generation von Tierärzt:innen ist, für die sich der Einsatz für die Arbeit in einer ausgeglichenen Balance mit den restlichen Leben befinden muss. "Ich bin ein Hybrid und habe gelernt, dass die aktuelle Generation Freiräume braucht und nicht mehr so anpassungsfähig ist wie ihre Vorgänger:innen", erklärt die Standortleiterin. "Die Arbeit, vor allem die Kommunikation, verändert sich im Team und dadurch auch die Prozesse, ans Ziel zu gelangen!" Um sich besser mit den Veränderungen in der Tiermedizin auseinanderzusetzen, Althergebrachtes zu hinterfragen und den Veränderungen im Team begegnen zu können, hat Neumann eine Fortbildung zum SCRUM-Master gemacht. Mit dem Erlernten, das eigentlich für die IT-Welt ausgerichtet ist, sich jedoch bestens auch für die Tiermedizin eignet, hat sie das Rüstzeug, um ihr Praxisteam bestens zu managen. Früher wurden die Vorgaben von der Chefetage festgelegt und dann in sehr engen, vorgegebenen Bahnen "top down" weitergegeben.

"Heute geht es in diesem Riesenladen darum, die vielen, unterschiedlichen Prozesse so zu gestalten, dass sich alle verantwortlich daran beteiligen können", erklärt Neumann, die eine große Freundin von agilen Arbeitsweisen ist und als Mediatorin die Prozesse an ihrem Standort begleitet. "Die Ziele werden festgelegt, jedoch werden die Wege, diese zu erreichen, innerhalb der Fachgruppen und -abteilungen erarbeitet." Alle Mitarbeitenden tragen dadurch mehr Verantwortung für den eigenen Arbeitsplatz und für die Abläufe in der Praxis. Das Learning der Personalgespräche, dass die Mitarbeitenden mehr mitentscheiden und -gestalten wollen, wird nun also konsequent in die Tat gesetzt.

Stefanie Neumann ist stolz auf ihr Team: "Ich habe sehr motivierte und großartige Mitarbeitende, die Spaß daran haben, Initiative zu zeigen, ihre Abteilungen mit zu entwickeln und die mithelfen, ihre Arbeitsplätze gut zu gestalten." Sie hat es geschafft, diese Arbeitsmethode in ihren Abteilungen zu implementieren und ist sich sicher, dass sich der Umsatz von ganz allein einstellt, wenn das Team motiviert ist, problemorientiert vorgeht, gute Medizin machen kann und die Tiere vernünftig versorgt werden.

75 % meiner Zeit verwende ich für die Tätigkeiten als Geschäftsführerin und ein Viertel für meine eigentliche tierärztliche Arbeit."

Dr. Stefanie Neumann, Anicura Ahlen

Der Informationsfluss hat sich in den letzten Monaten deutlich verbessert!

Um dieses Ziel erreichen zu können, ist Kommunikation extrem wichtig. Neumann weist auf die "supergute Meetingstruktur" hin und erklärt, dass einmal im Monat im Wechsel ein Treffen mit allen Mitarbeitenden stattfindet. Wöchentlich trifft sich das Team aus Oberärzt:innen und Cheftierärzt:innen, um fachliche und wirtschaftliche Entscheidungen zu besprechen. Und damit der Informationsfluss gewährleistet ist, findet einmal in der Woche ein Meeting mit allen Tierärzt:innen statt. "Am letzten Freitag des Monats nehme ich einen Podcast auf, in dem ich die neuen Mitarbeitenden vorstelle, auf interne Prozesse eingehe, auf Fortbildungen hinweise und soziale Aktivitäten bekannt gebe", erklärt Neumann, der es wichtig ist, dass alle die gleichen Informationen besitzen und dem toxischen "Flurfunk" auf diese Weise die Nahrung entzogen wird. "Außerdem pflege ich die Kultur der offenen Tür", ergänzt die Ahlener Chefin, die alle Mitarbeitenden einlädt, Fragen zu stellen und Ideen zu besprechen.

Hohe Qualität innerhalb des Anicura-Netzwerkes

Stefanie Neumann ist es wichtig, dass die Menschen, die in Ahlen arbeiten, wachsen können. Ihre Einstellung ist deckungsgleich mit der Ihres Arbeitsgebers, dem stark daran gelegen ist, dass die Ausbildung gut und die Qualität innerhalb des Anicura-Netzwerkes hoch ist. "Wir profitieren alle von wahnsinnig vielen Fortbildungsangeboten, können auf eine umfangreiche Bibliothek ebenso zurückgreifen wie auf das Wissen der zahlreichen Expert:innen innerhalb der Gruppe", so Neumann. Derzeit besinnt man sich in Ahlen auf die Kernkompetenzen, die weiter gestärkt und für die Zukunft ausgebaut werden. "Wir wollen in den Bereichen Innere Medizin, Chirurgie, Zahnmedizin, Kardiologie, Urologie und Radiologie richtig gute Qualität zeigen und die qualitativ beste Versorgung anbieten", erklärt Neumann.

Bessere Sichtbarkeit

In der Vergangenheit hatte sich Ahlen ja als reine Überweisungsklinik spezialisiert und ist aus Sicht der Tierhalter:innen als zwar gutes fachliches, aber auch als ein anonymes Haus wahrgenommen worden. Das soll und wird sich in Zukunft ändern. In den sozialen Netzwerken ist das Fachzentrum sehr präsent, stellt dort die Abteilungen vor, präsentiert seine Mitarbeitenden und weist parallel auf seine Fachkompetenz hin. Zuletzt wurde beispielsweise Dr. Dr. Peter Pantke beglückwünscht, der als erster Tierarzt in Westfalen-Lippe die Zusatzbezeichnung "Urologie bei Klein- und Heimtieren" erlangt hat, die auf seine Initiative hin in die Weiterbildungsverordnung aufgenommen wurde. "Wir wollen Gesicht zeigen und einfach wieder den Kontakt zu den Tierhalter:innen", macht Neumann deutlich.

Um noch mehr in den Fokus der Besitzer:innen zu gelangen und parallel eine Versorgungslücke zu schließen, wird zurzeit eine Tierblutbank aufgebaut, damit Hunde und Katzen künftig bei Blutverlust mittels Blut- oder Plasmatransfusion gerettet werden können. Mit entsprechender Unterstützung aus der Zentrale wurde Werbematerial erstellt, um Blutspender zu akquirieren, die sich registrieren lassen und in regelmäßigen Abständen zur Blutspende kommen.

Netzwerken für bessere Tiermedizin

Anfang Mai fand erstmalig seit 20 Jahren ein Tag der offenen Praxistür statt, an dem über 150 Besucher:innen gezählt wurden, die sich ein Bild der verschiedenen Abteilungen gemacht haben. Mit den Spenden, die an diesem Tag eingegangen sind, wurde das "Forum gegen Armut" unterstützt. "Kaum jemand weiß auch, dass wir hier in Ahlen seit Jahren schon einmal im Monat eine kostenfreie Sprechstunde für die Tiere von Menschen anbieten, die es sich einen Tierarztbesuch nicht leisten können", ergänzt Neumann. Unter den Besucher:innen waren auch einige Tierärzt:innen der Umgebung, die diesen Tag nutzten, um sich ein Bild des neuen Fachzentrums machen wollten. "Der Austausch mit den Kolleg:innen ist exorbitant und wird in der Zukunft immer wichtiger. Ich bin eine große Freundin von Netzwerken", erklärt die Praxisleiterin, die u.a. mit ihren Kolleg:innen einmal im Monat mittwochs in der Mittagspause eine Onlinefortbildung anbietet, die auch rege genutzt wird. Auch werden am Standort zukünftig Seminare für die überweisenden Haustierärzt:innen veranstaltet, einerseits Wissen weiterzugeben und gleichzeitig den Kontakt mit den Kolleg:innen zu intensivieren. Neumann und ihr Team nutzen ihr Netzwerk und den guten Kontakt zu den Hochschulen, um sich als Arbeitgeber in Szene zu setzen. Die Chefin verweist auf das sehr gute Praktikantenprogramm, das von vielen angehenden Tiermediziner:innen in Anspruch genommen wird. Zusätzlich präsentiert sich das Fachzentrum auf Fachmessen, um sich den Fragen der interessierten Tierärzt:innen zu stellen.

Nach dem Verkauf an die Anicura-Gruppe und dem Ausscheiden des Gründers aus der Geschäftsführung weht nun ein neuer Wind in Ahlen. Mit den Veränderungen, die die offene Führungsart von Stefanie Neumann in Gang gesetzt hat, der Intensivierung des Netzwerkgedankens und dem verbesserten Informationsfluss innerhalb des Teams befindet sich das Fachzentrum auf einem guten Weg in eine erfolgreiche Zukunft.

Andreas Moll