Sinn und Unsinn von Persönlichkeitstests

Drei, fünf oder zwanzig Erfolgsfaktoren? Wer bietet mehr?

Persönlichkeitstests werden in Frühlingszeiten massiv beworben. Die Psycho-Fachverbände sind darüber weder erfreut noch amüsiert. Denn die Werbung nährt sich mangels Fachwissens (Psychodiagnostik und -messtechnik!) aus dem prallen Koffer der Deute-Medizin (19. Jh.). Da deutet jeder drauflos, wer denn wohl der z.B. der bessere „Führer“ sei - der mit dem „Berufswunsch Tiefseetaucher“? Oder der andere, der sich als Verlagslektor sieht? Klarer Fall? (Von Psychologie noch keine Spur!)

In den Medien liegt der Unterhaltungsfaktor von Tests deutlich über den Themen der Wissenschaft. Auch große Tageszeitungen geben sich dann leger. Die vielseitige Wirtschaftsredaktion in der SZ, Süddeutsche Zeitung, unterlag z.B. am 9.12.2022 über eine Distanz von 6 (sechs) Spalten dem Deute-Charme vom Verband deutscher Unternehmensberater. Deren vorgebliche Kenntnisse in Sachen Eignungsdiagnostik waren ohnehin bis dato ganz unbekannt.

Die SZ weiß genau, es gebe in den USA und US-nahen Regionen in der Anwendung von „Persönlichkeitstests“ regelrechte „Marktführer“. Die SZ nennt oder kennt wohl nur den einen: HOGAN in Illinois. Das Honorar pro getesteten Bewerber liege bei 100 Dollar und könne 1.000 US-Dollar bei Einschalten von Expert:innen erreichen - wie dies angeblich in jedem zweiten Suchlauf geschieht. Über die Diagnose-Qualität - etwa beim HOGAN-Test - gibt die SZ keine Details bekannt. Was wissen die Experten?

Die Ernennung „Expert:in“ ist in den USA wie auch im EU-Raum unlimitiert und voll steuerbar durch Empfehlungen und Eigenwerbung. Personal- oder auch Managementberatung gilt fast überall als „freie“, d.h. weitgehend kontrollfreie Dienstleistung. Das Wort „Persönlichkeitstest“, weckt aber höchste Erwartungen. Studium und staatliches Diplom sind nicht erforderlich. Auch interessiert nur wenige Manager:innen, dass sich bei Tests in den letzten 100 Jahren so viel getan hat, dass man schon ein paar Jahre ordentlich studiert haben sollte. Hierzulande übrigens wurde der Studienabschluss „Diplom-Psychologe“ samt solider Grundkenntnisse in Diagnostik und Mess-(Eich-)Statistik bereits ca. 1950 ausgelobt.

In einem aussagekräftigen Verfahren muss jeder Schritt so objektiv wie möglich sein. Dabei gibt eine anspruchsvolle Wissenschaft den Takt vor. Sie beginnt mit der Frage, was da getestet werden kann und soll. Bekanntlich gibt es viele wichtige Wörter, die inhaltlich nichtssagend und deswegen nicht bestimmbar sind. Niemand kann sie objektiv prüfen oder gar messen: das Gewissen, die Gesinnung, das Vertrauen, die Ehre oder gar die Ehrlichkeit. Es gibt viele Beispiele für diese speziell „Unantastbaren“. Ihnen ist gemeinsam, dass man sie nicht testen kann. Gerade dies reizt aber manchen Psychotüftler, „Tests“ dafür zu erfinden. Ein böses Beispiel aus jüngerer Zeit gibt ein Fragebogen, der die „Integrität“ sogar bei Berufsanfängern zu messen vorgibt.

Aus rein methodischer Sicht ist u.a. zu bedenken:

Persönlichkeitstests wurzeln mit wenigen Ausnahmen in der Schamanen- und Medizinmann-Kultur der Frühzeit. Zahlreiche Arbeiten zur Psychoanalyse weisen darauf hin. Sie wurden in den Siedler- und Erobererzeiten wiederentdeckt. In nordamerikanischen Kreisen war zweifelsfrei C.G. Jung der europäische Star, der die Wiener Psychoanalyse sozusagen im Gepäck mitbrachte. Systematische Verbreitung fand er durch die psychologisch dilettierenden Katharine Cook Briggs und Isabel Myers.

Persönlichkeitstests eignen sich jedenfalls nicht für berufliche Fragen wie Eignung oder Entwicklung von Menschen.

Sehr oft basieren Persönlichkeitstests oder -fragebögen auf Selbstauskünften (Beispiel: Wie gut können Sie mit verschiedenen Menschentypen umgehen? Auf einer Skala von 1 bis 10). Aus Selbstaus- künften kann aber in keiner Weise objektiv auf die Ausprägung eines bestimmten Leistungsmerkmals geschlossen werden. Beispiel: Z. schätzt sich selbst als glänzenden Redner ein – eine Selbstauskunft. Würden seine Mitarbeitenden diese Einschätzung teilen? Vielleicht. Vielleicht würden sie aber auch die Ausführungen von Z. als Druck und überfordernde Informationsflut empfinden.

Persönlichkeitstest – Test & Persönlichkeit

Allein der Begriff Persönlichkeitstest macht vieles klarer: Das Wort „Test“ kennen viele aus dem Englischen (= Prüfung). Die „Persönlichkeit“ dagegen gibt sich geheimnisvoll. Hier hilft die Wortgeschichte: Persönlichkeit hat etwas mit Person zu tun. Person ist zusammengesetzt aus per- (= hindurch und sonare: tönen). Also: hindurch-tönen. Gemeint ist die Theater-Maske, durch die Gesprochenes hindurchtönt - die „Per-son“. Im antiken Theater benutzte man sie als Handmaske, mit deren Hilfe ein Darsteller mehrere Rollen annehmen konnte. Durch sie war seine Stimme gut zu hören. An der Gestaltung der Maske erkannten Zuschauer die Charakte- ristika der Sprechrolle - die Jungfrau oder den Helden, die Bäuerin oder den Medikus. Die Rolle tönte tatsächlich „durch die Maske“ wie das Wort per-sona(re) bereits erwarten ließ. Eine „Persona“ leistete ihrem römischen Herren wichtige Dienste. Später wurde daraus eine allgemeine Dienstbezeichnung. Im 18. Jahrhundert wurde fast jede Art Bedienstete als „Person“ registriert. Höherrangige Bedienstete (Künstler:innen, Ärzt:innen, Architekt:innen oder Militärs) wurden dadurch aufgewertet. Im Deutschen gelang das mit einem einfachen Trick: Der aufzuwertenden Person wurden zwei Wert-Silben („-lich- keit“) angeheftet, wie das schon aus Herrlich- keit, Höflich- keit oder Herzlich- keit bekannt war. Persönlichkeit ist also ein gehobener Bediensteter unter mehreren Bediensteten einer großen Herrschaft, der namens seines Hausherrn sprechen und handeln darf. Über diesen Wortsinn hinaus hat Persönlichkeit keinen eigenen oder gar psychologischen Inhalt. Persönlichkeit ist alles, was jemand vorab festgelegt oder definiert hat.

Empfehlung

Berufsbezogene Diagnostik mit Hilfe von Tests kann in Personalauswahl- und oder -entwicklungsfragen hochgradig nützlich sein. Angebote dazu müssen kritisch geprüft werden. Dabei hilft die DIN 33430, in der definiert ist, wann ein Verfahren als wissenschaftlich geprüft eingeordnet werden kann und wann man lieber die Finger davon lassen sollte. Konkrete Fragen zu einem Testangebot beantwortet zudem das Psychodiagnostische Zentrum e.V. in Potsdam (https://www.pdz-ev.de).