Auf dem Prüfstand: TTCARE von AI for Pet
Als praktizierender Tierarzt steht Dr. Björn Becker tagtäglich an vorderster Front, wenn es um die medizinische Versorgung unserer gefiederten oder pelzigen Freunde geht. In dieser Rolle sieht er täglich das immense Potential von Technologie und Innovation für die Tiergesundheit. Für ihn stecken Künstliche Intelligenz (KI) und Digitalisierung zwar heute noch in den veterinärmedizinischen Kinderschuhen, jedoch gibt es schon jetzt einige vielversprechende Ideen und Werkzeuge. Für JUST4VETS wird der Tierarzt regelmäßig an dieser Stelle genau diese "Werkzeuge" vorstellen, die die Arbeit der Tiermediziner:innen unterstützen können.
Als Tierarzt und digitaler Entdecker habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, innovative Entwicklungen in der Tiergesundheit zu erkunden. Ein jüngstes Highlight meiner digitalen Streifzüge ist die App TTCARE von AI for Pet, die verspricht, durch einfache Fotos von Haut und Augen unserer Haustiere Gesundheitsprobleme zu identifizieren. Hier sind meine ausführlichen Praxiserfahrungen und Überlegungen.
Praktische Anwendung: Erste Einblicke in TTCARE
Die sehr übersichtlich und modern gehaltene App ermöglicht es Tierbesitzern, sich auf bestimmte Körperteile zu konzentrieren, Bilder aufzunehmen, die von der fortschrittlichen KI von TTcare analysiert werden, und das mit einer beeindruckenden Genauigkeitsrate von 90 %. TTcare geht über die Bildanalyse hinaus. Die App führt den Nutzer durch den Prozess, gezielt nach Symptomen zu suchen, ermöglicht virtuelle Konsultationen mit erfahrenen Tierärzten und bietet Benutzern eine Plattform, um weitere Anleitungen oder Klärungen zu suchen. Diese integrierte Funktion verbessert das Benutzererlebnis und bietet einen umfassenden Ansatz für die Tiergesundheit. Die App ist sowohl für iPhones als auch für Android-Smartphones verfügbar (bisher jedoch nicht auf dem deutschen Markt). Der Download ist kostenlos, drei Scans sind inklusive. Ansonsten arbeitet die App nach einem Abonnementmodell, um den vollen Zugriff auf ihre Gesundheitschecks und Analysefunktionen zu haben.
Skeptisch & neugierig
In der Welt der tiergesundheitlichen Innovationen ist Skepsis oft eine gesunde Begleiterin, insbesondere wenn neue Technologien wie TTCARE von AI for Pet die traditionellen Grenzen herausfordern. Die vielversprechende Perspektive dieser App, komplexe gesundheitliche Probleme durch simple Fotos zu identifizieren, wirft zweifellos berechtigte Fragen auf. Kann eine App tatsächlich das umfangreiche Fachwissen und die Erfahrung einer erfahrenen Tierärzt:in ersetzen? Oder sollte sie eher als unterstützendes Mittel betrachtet werden, das die tierärztliche Praxis ergänzt?
Meine kritische Herangehensweise spiegelt nicht nur meine persönliche Verantwortung als Tierarzt wider, sondern soll auch meine Kolleg:innen ermutigen, einen ähnlich evaluativen Blick auf neue Technologien zu werfen. Nur durch einen kontinuierlichen Dialog und eine offene Bereitschaft zur Anpassung können wir sicherstellen, dass Innovationen sinnvoll in unsere tierärztliche Praxis integriert werden und letztendlich das Wohl der Tiere fördern.
Dr. Google und die Akzeptanz von Online-Tools
Tierhalter:innen greifen zunehmend auf Online-Quellen wie Dr. Google zurück. Es liegt in unserer Verantwortung, Kund:innen beizubringen, wie sie Informationen richtig nutzen können. TTCARE sehe ich in diesem Kontext als ein weiteres Werkzeug, das Tierhalter:innen helfen kann, aktiv an der Gesundheit ihrer Tiere teilzuhaben. Unsichere Tierhalter:innen, die vielleicht vorher gezögert haben, werden ermutigt, Fragen zu stellen und sich zu informieren. Aber, und das ist entscheidend, es führt nicht dazu, dass sie den Besuch in der Tierarztpraxis vernachlässigen. Im Gegenteil, es eröffnet die Möglichkeit, in einen offenen Dialog zu treten und die Rolle der Tierärzt:in als Expert:in zu stärken.
Blick in die Zukunft: Chancen und Herausforderungen
Die fortschreitende Entwicklung in der Telemedizin und Technologie eröffnet uns die Möglichkeit, neue Horizonte zu erkunden. TTCARE repräsentiert einen solchen Schritt in die Zukunft und könnte den Zugang zur tierärztlichen Versorgung für Tierhalter:innen verbessern. Dennoch gilt es immer, einen ausgewogenen Ansatz zu wahren und die Zukunft als Symbiose aus menschlichem Fachwissen und intelligenter Technologie zu gestalten. Insgesamt bietet TTCARE eine spannende Perspektive für die Tiergesundheitsversorgung, und es bleibt spannend zu sehen, wie diese Technologie in den kommenden Jahren unsere tierärztliche Praxis beeinflussen wird.