Klinikreportage: Family Business in Germersheim

Germersheim am Rhein mit seinen rund 20.000 Einwohner:innen liegt zwischen Ludwigshafen, Mannheim und Karlsruhe. Wer hier in der Südpfalz Urlaub macht, nutzt die unzähligen Rad- und Wanderwege, entdeckt an jeder Ecke Stücke römischer Geschichte und genießt die zahlreichen kulinarischen Genüsse der Region. Es lässt sich hier sehr gut leben. Die Kleintiermedizin ist in dieser Region unweigerlich mit dem Martina van Suntum und Arnulf Klasen verbunden. Das Tierärztepaar hatte sich Anfang der 1990er Jahren im Souterrain eines Germersheimer Wohnhauses niedergelassen. "Man mag es nicht glauben, doch das Wartezimmer war von Beginn an voll", resümiert Arnulf Klasen und mutmaßt, dass das vor allem an der besonders empathischen Art seiner Frau lag. In den vergangenen drei Jahrzehnten erarbeiteten sich die beiden bei den Tierbesitzer:innen der Region und in der Veterinärwelt einen auszeichneten Ruf und gestalteten die Tiermedizin in Deutschland aktiv mit. Seit einigen Jahren sind die in die selbst geplante, neue Klink am Rand von Germersheim gezogen, die von ihren Söhnen, Jan und Linus Klasen, geleitet wird. JUST4VETS hat die Tierarztfamilie während eines Arbeitsages begleitet.

In Germersheim ticken die Uhren irgendwie ein bisschen anders. Während sich üblicherweise die Kids eine große Distanz schaffen wollen und einen ganz eigenen beruflichen Weg einschlagen, war das beim Brüderpaar Klasen absolut nicht so. Jan, der zwei Jahre älter ist als sein Bruder Linus, machte den ersten Schritt, startete sein Studium in Budapest und beendete es in Leipzig - Linus folgte später Jans Beispiel. "Es war uns schnell klar, dass wir die Klinik unserer Eltern übernehmen wollten", erklärt Linus, "doch wollten wir aufgrund der räumlichen Enge und der in die Jahre gekommenen Bausubstanz der Vorgängerklinik etwas ganz Neues bauen!"

Das Glück stand der Tierärztefamilie Pate, da sie sich "wirklich das letzte Grundstück hier in Germersheim" haben sichern können. Zudem waren die Zinsen vor der Pandemie niedrig, es wurde eine gute Baufirma und ein extrem motivierter Bauleiter beauftragt, so dass die Klinik ohne Mehrkosten und in exakt der prognostizierten Zeit, im Mai 2021, fertiggestellt werden konnte. Dadurch, dass die Familie selbst viele Arbeiten geleistet hat, konnten die Kosten überschaubar gehalten werden. Multitalent Arnulf Klasen, der neben der Tiermedizin Architektur studiert hatte, zusammen mit seiner Familie und den Planern die Konzeption des Neubaus. Mit handwerklichem Geschick wurden zudem Mauern gezogen, Wände verputzt sowie die Grünanlage entworfen und angelegt. "Zwei, drei Jahre später hätten wir das Projekt wegen der deutlich gestiegenen Zinsen, der durch die Coronakrise gestiegenen Lohn- und Energiekosten und die Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung nur schwerlich umsetzen können", mutmaßt Jan Klasen.

Lichtdurchflutet, energetisch und ökologisch vorbildlich!

Auf dem Grundstück an der Hexenbrücke ist am Germersheimer Stadteingang ein zweigeschossiges Gebäude entstanden. Im Erdgeschoss können sich Tier und Mensch auf 1400 Quadratmeter in den lichtdurchflutetet Räumen so richtig wohlfühlen. Der Empfangstresen wurde von der Tierarztfamilie in Eigenregie gebaut, Katzen und Hunde können mit ihren Besitzer:innen getrennt voneinander auf die Behandlungen warten und die Mitarbeitenden scheinen ihrer Arbeit mit Lust nachzugehen. "Wir möchten Spaß bei der Arbeit haben, schließlich verbringen wir alle sehr viel Zeit in der Klinik", fasst Martina van Suntum zusammen.

Im Obergeschoss befinden sich auf 800 Quadratmeter Seminarräume, die Sozialbereiche, Büro- und Teamräume sowie Übernachtungsmöglichkeiten für Mitarbeitende der Nachtschichten. „Mit dem Klinikneubau haben wir nun die Möglichkeit, Zahnheilkunde, HNO, Onkologie, Ophthalmologie, Orthopädie und Weichteilchirurgie auf höchstem medizinischen Niveau umsetzen zu können und außerdem genügend Platz zu haben, um uns Schritt für Schritt weiterentwickeln zu können", berichtet Jan Klasen. Darüber hinaus weist er daraufhin, dass das energetisch und ökologisch vorbildliche Gebäude mit einem Gründach sowie einer Photovoltaik-Anlage ausgestattet ist.

Family Business

Jan und Linus Klasen leiten im Schulterschluss die Geschicke der neuen Klinik, während sich Martina van Suntum und Arnulf Klasen, die Eltern der beiden und Gründer:innen der Ursprungsklinik, Schritt für Schritt "Platz für die Jugend" machen wollen. Derzeit jedoch sind die beiden "Senior-Chefs" tagtäglich mit vollem Einsatz und Freude mit dabei und mischen im Klinikgeschehen mit. Neue Ideen und Probleme werden gemeinsam im Familienrat besprochen und gelöst. Mittags wird in der Regel zusammen gekocht und gegessen. Dann ist auch meistens Britta Fischer, Partnerin von Jan Klasen und Mutter des gemeinsamen Sohnes, dabei. Die Tierärztin, die ein Resideny-Programm des European College of Veterinary Ophthalmology abgeschlossen hat, arbeitet nach ihrer Babypause tageweise in der Klinik mit dem langfristigen Ziel, die ophthalmologische Abteilung zu übernehmen und weiter auszubauen.

Lebenslanges Lernen und Wissenstransfer

"Wir als Tierärzt:innen haben uns dem lebenslangen Lernen verschrieben", erklärt Martina van Suntum, der der ganzheitliche medizinische Blick auf ihre Patienten wichtig ist. Die Fachtierärztin für Kleintiere und Fachtierärztin für Zahnheilkunde hat lange Zeit die Abteilung für Zahnheilkunde, Oral-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Germersheim geleitet, ist Mitbegründerin und langjähriges Vorstandsmitglied der DGT und engagiert sich in Seminaren und Vorträgen für die Ausbildung von Tierärzt:innen und Studierenden. Auch im neuen Germersheimer Klinikgebäude ist eine große Fläche vorgesehen, die für Inhouse-Fortbildungen und Veranstaltungen für die überweisenden Tierärzt:innen der Region vorgesehen sind. "Künftig werden wir in lockerer Folge Seminare verschiedenster Art rund um die Klein- und Heimtiermedizin veranstalten.

69. Jahreskongress der DKG-DVG - Thema: Kontinuität und Disruption

"Nun aber steht im November eine spannende Aufgabe bevor, der wir uns als Familie sehr gerne gestellt haben", sagt die Tierärztin. Erstmals ist eine Familie verantwortlich für das Fortbildungsprogramm, und so wird die Germersheimer Führungsriege dem 69. Jahreskongress der DVG-Fachgruppe Kleintiermedizin vorstehen. Martina van Suntum und Arnulf Klasen haben in der Vergangenheit bereits große Veranstaltungen, wie den DGVD-Jahreskongress und die DGK-Katzenmedizin-Tagung in Landau, die FVO-Jahrestagung in Seeheim und zahlreiche DGT-Jahrestagungen, organisiert.

Das Thema des Kleintierkongresses, der vom 23.-25. November 2023 im Berliner Estrel-Hotel stattfindet, lautet "Kontinuität und Disruption". "Wir greifen die Themen Künstliche Intelligenz und Digitalisierung in der Tiermedizin auf und versuchen die mit dieser Entwicklung verbundenen Chancen und Risiken aufzuzeigen", fasst die Tagungspräsidentin zusammen. "Wir wollen mit unserem Programm neue Impulse setzen, um neue Motivation für unsere Arbeit zu erhalten. Dabei ist es eine große Herausforderung für jeden einzelnen, seinen eigenen Weg in den Zeiten zwischen Kontinuität und Disruption zu finden."

Disruption: Unterbrechung

Disruption ist ein Begriff aus dem Englischen, der Unterbrechung, bzw. Zerstörung bedeutet. Die Furcht vor VetGPT steht im Raum und beherrscht viele Zukunftsszenarien in der Szene. Viele Tierärzt:innen haben Angst, dass digitale Innovationen ihr Geschäfts- und Betätigungsfeld zerstören könnten, so wie beispielsweise die Erfindung des Smartphones MP3-Player, Digitalkameras und Landkarten weitestgehend abgelöst hat. Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) und der Einfluss auf Bildgebende Verfahren, Zytologie, Histologie, Mikrobiologie, Onkologie, Labormedizin und das Verhalten von Tierbesitzer:innen ist eng damit verknüpft.

"Wir wollen den Teilnehmer:innen aufzeigen, was heute schon Wirklichkeit ist und wollen Perspektiven für die Tiermedizin darlegen", ergänzt Jan Klasen. In Berlin wird es auch um die Nutzung neuer Techniken zur aktiven Gestaltung von Zufriedenheit und Erfolg im Beruf, um Resilienz und Wertschätzung gehen. Besonders freut sich Martina van Suntum auf den Festvortrag von Prof. Renate Weller, der einen spannenden Kongressstart verspricht. Die Dekanin der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität von Calgary wird in ihrer Rede auf die Auswirkungen auf Ausbildung und Beruf in der Veterinärmedizin eingehen, die der gesellschaftliche Wandel mit sich bringt. Zudem geben In dem Stream "SOPs von A-Z" renommierte Referent:innen kurz und präzise eine aktuelle Übersicht für das fachgerechte Vorgehen bei Standardsituationen in der Kleintierpraxis.

Die Tagungspräsident:innen freuen sich aber auch auf die Gelegenheit, sich in Berlin mit Kolleg:innen persönlich zu treffen und auszutauschen. "Der Kongress im Estrel-Hotel ist ja wie geschaffen für einen analogen Austausch", erklärt Arnulf Klasen, der jedoch darauf hinweist, sich auf keinen Fall die die "Berliner Sause" mit Currywurst, Getränken und Live-Musik am Eröffnungstag im Estrel entgehen zu lassen, zu der alle Teilnehmer:innen eingeladen sind.

Und wie sieht die Zukunft in Germersheim aus?

Wenn die Tagung in Berlin erfolgreich absolviert ist, kann sich Germesheimer Familie wieder dem Alltagsgeschäft widmen. Fest steht, dass sich Martina van Suntum und Arnulf Klasen schrittweise aus dem Klinikalltag zurückziehen werden. Wie das genau aussehen wird, muss besprochen, dann umgesetzt und, was wahrscheinlich am schwierigsten sein wird, dauerhaft umgesetzt werden. Britta Fischer wird die Ophthalmologie in der Klinik weiterentwickeln und für Linus Klasen ist klar, dass er die orthopädische Abteilung in der Klinik ausbauen wird. Jan Klasen, der seine Residency des American Veterinary Dental College (AVDC) bereits abgeschlossen hat, wird sich intensiv der Zahnheilkunde widmen. "Wichtig ist es uns, die Marke Tierklinik Germersheim zu stärken", erklärt Jan Klasen und sein Bruder Linus ergänzt: "Unser Ziel ist es, uns in den nächsten Monaten und Jahren regional und überregional einen guten Ruf zu erarbeiten."

Die Chancen, dass diese Ziele nicht erreicht werden könnten, sind äußerst gering. Die goldenen, aufregenden Zeiten stehen dem Team in der Tierklinik Germersheim erst noch bevor.

Andreas Moll