Reportage: Tierarztpraxis am Wildrosengehölz

Die Tierarztpraxis am Wildrosengehölz im Berliner Stadtbezirk Mahlsdorf ist die 13. von mittlerweile 67 Praxen im Verbund von "Tierarzt Plus Partner", dem Netzwerk aus Kleintierpraxen und -kliniken. Tierärztin Anne Vormum hat als Assistentin begonnen und hat die Leitung der mittlerweile renovierten und erweiterten Kleintierpraxis übernommen, in der mittlerweile ein Team von 23 Mitarbeitenden beschäftigt ist. Im Interview hat sie über die Geschichte der Netzwerkpraxis, deren Entwicklung und Zukunftsvision erzählt.

Mahlsdorf zählt ca. 30.000 Einwohner:innen, liegt an der östlichen Stadtgrenze Berlins und grenzt an die Gemeinde Hoppegarten im Land Brandenburg. In Mahlsdorf liegt Deutschlands größtes zusammenhängendes Gebiet mit Ein- und Mehrfamilienhäusern. Der Ortsteil ist verkehrstechnisch bestens angeschlossen und besitzt einen unter Denkmalschutz gestellten Bahnhof, der die Menschen mit Berlins Stadtmitte verbindet. TV-Moderatorin Maybrit Illner lebte in Mahlsdorf, Sänger und „Wetten, dass..?-Moderator Wolfgang Lippert ist hier ebenso aufgewachsen wie Mario Czaja, der Generalsekretär der CDU. Die Tiere hier werden von insgesamt vier Kleintierpraxen versorgt.

Für mich hörte es sich sehr verführerisch an, dass in die Praxis investiert, neue Geräte angeschafft, neue Mitarbeitende eingestellt, sowie um- und ausgebaut werden würde."

Anne Vormum, Tierarztpraxis am Wildrosengehölz

Ungewöhnlicher Karriereweg

Eigentlich wollte Anne Vormum nach dem Abi als Pferdewirtin arbeiten, entschied sich dann aber für eine Ausbildung zur TFA in einer Pferdeklinik im Allgäu, in der sie wegen Personalmangels sehr viel machen durfte, bzw. musste. "Letztlich bin ich damals auf den Geschmack gekommen und habe mich entschieden, Tiermedizin zu studieren", erklärt sie im Büro der Tierarztpraxis am Wildrosengehölz. Die ersten beiden Semester studierte sie in Budapest, um dann nach Berlin zu wechseln und ihr Studium an der hier beheimateten Freien Universität abzuschließen. In Budapest kam die damalige Studentin auch in Kontakt mit den vielen in Not geratenen Hunden und Katzen und gründete später selbst einen Tierschutzverein. Aus dieser Zeit stammt übriges "Charly", der sie stets begleitet und ihre Halter:in auch an diesem Tag in der Praxis beschützt. Während ihrer Studienzeit arbeitete Vormum bereits in einer Kleintierpraxis im Raum Berlin und hatte das große Glück, dass ihr damaliger Chef ein guter Didaktiker war. "Ich habe in dieser Zeit soviel gelernt, dass ich nach Abschluss meines Studiums bereits in der Lage war, eine Sprechstunde und die Standard-OPs allein durchzuführen", erklärt die Tierärztin stolz. Zwar sammelte die Jungtierärztin zu dieser Zeit sehr viel Erfahrung und arbeitete im Durchschnitt 60 Stunden in der Woche, verdiente jedoch nur einen Hungerlohn.

Erst Mitte - dann Mahlsdorf

Der Schritt in einer Kleintierpraxis in Berlin Mitte brachte der mittlerweile frisch gebackenen Mutter das gleiche Salär bei deutlich geringerem Zeitaufwand. Die Verdienstmöglichkeiten waren deutlich besser, jedoch raubte ihr die Klientel aufgrund schier endloser Preisdiskussionen die letzte Energie. Ein Standortwechsel musste her. Über Beziehungen ist die junge Tierärztin dann zu Dr. Horst Watzke nach Mahlsdorf gekommen, einem Spezialisten für Ophthalmologie und Chirurgie. "Ich habe mir hier eine weitere berufliche Entwicklung erhofft", so Vormum. Doch es kam anders als gedacht. Watzke wurde kurz nach Vertragsunterschrift krank, so dass er sich aus der Praxis zurückziehen und Anne Vormum die Arbeit überlassen musste.

Gemeinsam mit einer weiteren Tierärztin wuppte sie dann die Praxis, die in einer Doppelhaushälfte auf 80 Quadratmeter am jetzigen Standort untergebracht war. Ganz schnell wurde die junge Tierärztin zum Gesicht der Praxis. Watzke stellte sie allen Stammkund:innen vor und unterstützte sie, soweit es seine Gesundheit zuließ. "Wir haben in dieser Zeit sehr viele Überstunden "geschrubbt", um den Laden am Laufen zu halten", so Vormum, die oftmals überfordert war und an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen musste.

Integration ins Netzwerk

Da sich der Gesundheitszustand des Chefs nicht besserte, musste eine Lösung gefunden werden. "Ich hätte die Praxis übernehmen können, wenn ich gewillt gewesen wäre, mein Leben lang einen Kredit abzubezahlen", erklärt Vormum. "Dann hat Horst Watzke mich mit zu Verhandlungen mit Prof. Oliver Nellen genommen, der Interesse an der Integration der Praxis in das damals noch junge Netzwerk hatte. Nellen versprach die Watzkes Praxis zu einem guten Kurs abzukaufen und Vormum als Standortleiterin einzusetzen. "Das klang alles zu schön, um wahr zu sein", resümiert die Tierärztin. Für sie handelte es sich jedoch um Win-Win-Win-Situation. Für den erkrankten Inhaber und dessen Familie war finanziell gesorgt, das Netzwerk konnte eine attraktive Praxis in ihrer Gruppe begrüßen und die junge Tierärztin hatte die Möglichkeit, die ihr ans Herz gewachsene Praxis zu leiten und weiter zu entwickeln. "Für mich hörte es sich sehr verführerisch an, dass in die Praxis investiert, neue Geräte angeschafft, neue Mitarbeitende eingestellt, sowie um- und ausgebaut werden würde", fasst die Tierärztin zusammen. Um Klarheit zu erlangen und die richtige Entscheidung zu treffen, interviewte sie andere junge Kolleg:innen, an anderen Standorten des Netzwerks Führungspositionen eingenommen hatten.

Nach vielen Gesprächen hat sich Anne Vormum letztlich eingestanden, dass sie bereits Blut geleckt hatte und sich nicht mehr vorstellen konnte, noch einmal als angestellte Tierärztin in einer Praxis anzufangen. "Ich wollte gerne in der Führungsposition bleiben und habe jedoch zur Bedingung gemacht, dass ich bei jeder Entscheidung, die die Praxis betrifft, involviert bin und entsprechend agieren und mitgestalten kann!" Das geschah alles im Dezember 2020. Zweieinhalb Jahre später erklärt sie, dass sich alle Versprechen bewahrheitet haben und sie ihre Entscheidung nicht bereut hat. "Ich kann mich auf die Praxis- und Personalführung konzentrieren, kann darüber hinaus als Tierärztin arbeiten und habe Zeit mich regelmäßig fortzubilden", fasst Vornum zusammen.

"Ich wollte gerne in der Führungsposition bleiben und habe jedoch zur Bedingung gemacht, dass ich bei jeder Entscheidung, die die Praxis betrifft, involviert bin und entsprechend agieren und mitgestalten kann!"

Anne Vormum, Tierarztpraxis am Wildrosengehölz

Erfolg im Team

Der Standort entwickelt sich positiv. Im letzten Jahr wurde die Praxis renoviert und erweitert, das Team zählt mittlerweile 23 Mitarbeitende am Standort. Die Spezialist:innen aus der Zentrale unterstützt die Standortleiterin bei Buchhaltung, Lohnabrechnung, Personalsuche, Fort- und Weiter­bildung, Praxisausbau und -investitionen, IT und Praxissoftware und Marketing, so dass Anne Vormum genügend Zeit für die Entwicklung ihres Teams zur Verfügung steht. Sie sieht es als ihre Passion an, ihr Team gut zu führen und gemeinsam mit allen Mitarbeitenden Erfolg zu haben. Von Beginn an wurde sie, was Teamführung und Personalentwicklung angeht, gecoacht. Außerdem trifft man sich regelmäßig in virtuellen Runden innerhalb der zurzeit 67 Standortleitenden, um Probleme zu besprechen und Erfahrungen auszutauschen.

"Ich fühle mich glücklich, habe einen geregelten Arbeitstag und kann tatsächlich auch in den Urlaub fahren, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben", fasst die Tierärztin zusammen. Jetzt jedoch kann sich die schwangere Tierärztin erst einmal auf die Geburt ihrer Zwillinge konzentrieren, ohne sich um ihre Crew sorgen zu müssen. "Meine Praxismanagerin übernimmt die komplette Verwaltung vor Ort und eine meiner Tierärztinnen die medizinische Leitung", erklärt Vormum. "Außerdem werden wir engmaschiger durch die Regionalleiterin von TPP betreut." Und wenn es ihre Familie dann zulässt, kehrt Anne Vormum wieder an ihren Arbeitsplatz in die Tierarztpraxis am Wildrosengehölz zurück.

Andreas Moll