Praxisreportage: Heimtiermedizin mit dem Hang zur Perfektion

Betzingen ist älteste und auch der größte Stadtteil von Reutlingen, zählt stolze 11.000 Bewohner:innen und hat sich Reste seines dörflichen Charakters bewahrt. Hier ist Leonie Lumpp zur Grundschule gegangen, doch dass sie sich hier einmal in einer ehemaligen Artpraxis mit einer eigenen Tierarztpraxis niederlassen würde, hätte sie sich nicht träumen lassen. 2022 hat die Fachärztin eine reine Heimtierpraxis eröffnet, kann sich vor Zulauf kaum retten und ist bereits auf der Suche nach einer dritten Tierärzt:in, um die Kundennachfrage bearbeiten zu können. Nach dem Motto "Selbst im kleinsten Tierchen schlägt ein großes Herz!" geht das Team der Heimtierpraxis tagtäglich an die Arbeit. JUST4VETS stattete der Praxis einen Besuch ab, begleitete das Team während der nachmittäglichen Sprechstunde und nutze die Möglichkeit, Dr. Leonie Lumpp zu ihrer Einstellung und ihren Zielen zu befragen.

Wie bei vielen, hat auch die Tierarztkarriere von Leonie Lumpp in der Kindheit begonnen, als sie im zarten Alter von vier Jahren ihr erstes Kaninchen bekam, um das sie sich bestmöglich kümmern durfte. Spätestens mit zehn Jahren stand für die junge Leonie einhundertprozentig fest, dass sie Veterinärmedizin studieren und den Tieren helfen würde. "Ich kann mich nicht erinnern, dass mich beruflich mal etwas anderes richtig gereizt hätte", erklärt die Spezialistin für Heimtiere, die neben Dr. Tina Brezina (Baden Baden) und Dr. Saskia Köstlinger (Ravensburg) eine von insgesamt lediglich drei Fachtierärzt:innen dieses Fachgebiete in ihrem Bundesland Baden-Württemberg ist.

Dass die junge Frau eine solch beachtenswerte Entwicklung nehmen würde, hätte kaum jemand nach einer eher durchwachsenen schulischen Laufbahn nicht gedacht. "Ich bin in Gießen trotz meines bescheidenen Abiturdurchschnitts über das Auswahlverfahren zum Tiermedizinstudium zugelassen worden", erklärt Lumpp mit einem zufriedenen Lächeln. Katzen und Hunde haben sie nie richtig interessiert, und die geliebten Kleinsäuger nahmen nur einen winzigen Teil der Ausbildung ein. PD Dr. Thomas Göbel aus Berlin war es, der ihr und ihren Kommiliton:innen das Heimtier-Basiswissen in nur zwei Wochen beibrachte. Nach Abschluss des Studiums entschied die Tierärztin in die Heimat zurückzukehren, um neben der Doktorarbeit, die sie an der Universität in Tübingen machte, praktische Erfahrungen im Kleintierzentrum Reutlingen zu sammeln. Schon beim Einstellungsgespräch wies sie darauf hin, die Zusatzbezeichnung "Heimtiere" machen zu wollen. "Das wurde sehr gerne gesehen, da sich niemand fand, der Lust auf diesen Bereich der Tiermedizin hatte", fasst Lumpp zusammen. Die Tierärztin verleibte sich sämtliche Fachliteratur ein und nahm an nationalen, vor allem aber an internationalen Fortbildungen teil, um ihren Wissensdurst zu stillen.

Nachdem der Doktortitel und die Zusatzbezeichnung unter Dach und Fach waren, stand der Fachtierarzt für Heimtiere als nächste Challenge im Raum. Da dieser in Baden-Württemberg nicht angeboten wird, musste die ehrgeizige Tierärztin ins benachbarte Bayern ausweichen, um dort die Zusatzqualifikation zu erreichen. So pendelte sie zwischen den Kliniken in Reutlingen und Neu-Ulm, arbeitete an beiden Standorten, baute dort die Heimtierstationen aus und schulte intern die Kolleg:innen.

Schrei nach Selbstständigkeit

"Es war zwar sehr eine stressige Zeit, doch habe ich auch sehr viel gelernt", fasst die Tierärztin zusammen. Spätestens, nachdem ihr der Titel der „Fachtierärztin für Heimtiere (Kleinsäuger)“ verliehen wurde, wusste sie, dass sie keine Kompromisse mehr machen konnte und wollte. In Kombination mit ihrem Hang zur Perfektion, schrie alles in ihr nach Selbstständigkeit! Mit der Hilfe von Eltern und Freund:innen wurde sie ausgerechnet dort fündig, wo sie einen Großteil ihrer Jugend verbrachte. Leonie Lumpp gründete im Januar 2022 ihre Heimtierpraxis im beschaulichen Betzingen, vis-à-vis ihrer alten Grundschule in den Räumen ihres ehemaligen Kinderarztes. Eine dreimonatige Renovierung war notwendig, um die alte Praxis für die Bedürfnisse der Fachtierärztin herzurichten. Bei der Ausstattung ihrer Praxis ging die Inhaberin sehr perfektionistisch und akkurat vor, hat alle technischen Geräte, die sie braucht, getestet und schließlich gekauft. "Qualität steht bei mir immer an erster Stelle", fasst Lumpp zusammen, die sehr zufrieden mit ihrem Inhouse-Labor ist. Um das beste Ultraschallgerät zu finden, hat sie verschiedene Geräte im Tierheim getestet und sich dann für das in ihren Augen beste entschieden. Auch beim Röntgen hat sich nicht gespart, schließlich "sind wir in der Bildgebung auf scharfe Bilder angewiesen". Die Investitionen in die Praxis haben sich auf jeden Fall mehr als gelohnt - Heimtiermedizin kann und wird in Betzingen auf höchstem Niveau angeboten und umgesetzt.

Die Besitzer:innen wissen, wo Heimtiere ernst genommen werden!

Für Lumpp ist der gewählte Standort ideal, schließlich gab und gibt es im großen Umkreis keine Spezialist:innen, die sich ebenfalls auf Heimtiere konzentriert haben. Die Angst, dass zu wenige Kund:innen in die Praxis kommen würden, war vollkommen unbegründet. Viele Halter:innen, deren Tiere sie zuvor in Reutlingen betreut hatte, nehmen nun die Anfahrt nach Betzingen auf sich. Die gute, konzentrierte und hoch professionelle Arbeit des gesamten Praxisteams spricht sich in der Heimtierbranche herum. "Die Besitzer:innen wissen, wo Heimtiere ernst genommen werden!", erklärt sie Praxisinhaberin.

Die Besitzer:innen von Meerschweinchen, Kaninchen und Co. wissen, dass gute Tiermedizin etwas kostet und geben soviel wie Hunde- und Katzenbesitzer:innen aus, wenn es der Gesundheit ihrer Lieblinge zuträglich ist. Lumpp hat keine Probleme, ihre Leistungen in Rechnung zu stellen und informiert die Besitzer:innen von Kaninchen, dass es mit Petplan erstmals eine Tierkrankenversicherung gibt, die auch die Langohren versichern. Andere, so ist sich die Fachärztin sicher, werden folgen.

25-30 Heimtiere täglich

Viele Kund:innen nehmen bis zu einhundert Kilometer Anfahrt auf sich, um die sie Dienste von Lumpp und Co. zu sichern. Zudem sind viele der Besitzer:innen ihres vorherigen Arbeitgebers nach Betzingen gefolgt. "Ich arbeite mit dem Kleintierzentrum Reutlingen sehr gut zusammen, nutze dort sogar einmal im Monat den CT", so die Tierärztin, die stolz erklärt, dass täglich zwischen 25 und 30 Tiere in ihrer ca. 150 Quadratmeter großen Praxis behandelt werden. Um die Arbeit bewältigen zu können, ohne dass die Qualität leidet, hat die Jungunternehmerin vor einigen Monaten mit Carolin Espe, die zurzeit parallel eine Improve-Weiterbildung für Heimtiermedizin absolviert, eine weitere Tierärztin angestellt. Der Terminkalender ist jedoch so gut gefüllt, dass in naher Zukunft noch eine Spezialistin als Teamergänzung gesucht wird.

Von Leonie Lumpp wird man in Zukunft noch viel hören und lesen. Als Gründungsmitglied arbeitet sie in der Arbeitsgemeinschaft Kleinsäuger der DVG daran, die Heimtiermedizin in Deutschland weiter voranzubringen. Kürzlich wurde die Expertin für die Märzausgabe der Apotheken-Umschau interviewt und hat sie Leser:innen über Meerschweinchen aufgeklärt. Regelmäßig verfasst sie Fachartikel für den Enke-Verlag und wird hoffentlich ihre Erfahrungen in einigen praxisorientierten Beiträgen auch für dieses Fachmagazins einfließen lassen. Davon werden mit Sicherheit sehr viele Tierärzt:innen profitieren.

Andreas Moll