Praxisreportage: Björn Becker - Tierarzt & Visionär

Dr. Björn Becker ist Tierarzt in Bad Bentheim, einer Stadt mit 15.000 Einwohner:innen in Niedersachsen im Grenzgebiet zu den Niederlanden. Neben der wunderschönen Kleintierpraxis im Bentheimer Ortsteil Gildehaus, die "Perle der Grafschaft" genannt wird, betreibt er 25 Kilometer entfernt in Heek-Nienborg eine Partnerpraxis. Man könnte sagen, Becker habe den Tierarztberuf von der Pike auf gelernt, schließlich führte sein Vater hier im westlichen Münsterland jahrzehntelang eine Gemischtpraxis, die Sohn Björn hätte ganz einfach übernehmen können. Doch gehört es wohl zu dem stets um Ecken denkenden Menschen, niemals den geradlinigen Weg zu nehmen, um seine Ziele zu erreichen. Er sagt von sich, sein Gehirn sei immer voller neuer Ideen, die es umzusetzen gelte. Darum ist Becker nicht nur Tierarzt, sondern außerdem Dozent an der Hochschule Neu-Ulm, sowie Referent für Telemedizin, Digitale Transformation und Social Media in Tierarztpraxen.

Von der Werbung zur Tiermedizin

Eigentlich hätte Björn Becker nach dem bestandenen Abitur ganz einfach Tiermedizin studieren können - am besten in der TiHo Hannover, so wie es Vater Harald erfolgreich gemacht hatte. "Mein Abitur jedoch war grottenschlecht, so dass ich mich für eine Ausbildung zum Werbekaufmann entschied und bereits in jungen Jahren meine eigene Werbeagentur gründete", so Becker, der es liebte, seine Kreativität mit Computer-Unterstützung ausleben zu können und dafür auch noch gut bezahlt zu werden. Mit der Jahrtausendwende und kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag kam dann der Sinneswandel. Becker wollte es doch seinem Vater gleichtun und sich der Tiermedizin widmen. Das Studium absolvierte er erfolgreich in München, der Stadt, die ihm auch heute noch wegen ihres besonderen Flairs am Herzen liegt. Und danach konnte er mit seinem Papa noch einige Jahre gemeinsam die Tierarztpraxis in der Heimat betreiben und den Kleintierpraxis am zweiten Standort in Bad Bentheim gründen und entwickeln. Das klappte einige Jahre gut, bis sein Vater Harald aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten und seinem Sohn das Feld überlassen musste.

Damit die Praxen optimal laufen, habe ich in beiden jeweils eine Praxismanagerin installiert, die sich nicht nur um das Organisatorische kümmern, sondern auch als Bindeglied zwischen den Mitarbeitenden und mir fungieren."

Dr. Björn Becker, Bad Bentheim

Perle der Grafschaft

Björn Becker residiert heute in einer 200 Quadratmeter großen Villa, in der er seit einigen Jahren seine Patienten und deren Besitzer:innen empfängt. "Davor habe ich lange Jahre im Ortszentrum in einer Praxis gearbeitet, die nicht größer war als ein Schuhkarton", erzählt er schmunzelnd. Jeder Quadratmeter wurde genutzt, so dass die Tierbesitzer:innen im gegenüber liegenden Café Platz nehmen mussten, um auf die Behandlung zu warten. Das Heißgetränk, das seine Kund:innen in der Wartezeit tranken, zahlte der Doc, der mit dem Cafébesitzer einen guten Deal verhandelte. Becker denkt gerne an die Zeiten zurück, in denen er sich morgens in Heek und Umgebung um die Nutztierpraxis kümmerte, mittags mit der Familie eine kurze Pause einlegte, danach die Kleintiersprechstunde in Bad Bentheim abhielt, um abends dann noch die Pferdepatienten zu versorgen. "Ich habe es geliebt, war mittendrin, wurde durch die stark anwachsenden Kundschaft bestätigt und habe mich in meinem Wirken mehr als respektiert gefühlt", resümiert der Tierarzt. Mit der klassischen Life-Work-Balance hatte das nicht viel zu tun, doch sagt Becker von sich, er sei sowieso nicht der Typ dafür. "Ich bin zufrieden, wenn ich aktiv sein und Dinge bewegen kann", erklärt Becker.

Tierarztpraxis auf Klinikniveau

Bewegung ist mit dem Umzug der Kleintierpraxis vom Schuhkarton in die Villa gegeben, denn hier kann sich der Technikfreak stetig weiter entwickeln. Sein Ziel ist es, die lokale Tierarztpraxis auf Klinikniveau zu sein und hier moderne Diagnostik und Therapie zum Wohle der Tiere anzubieten. Mensch und Tier sollen sich wohlfühlen. Das großzügige, helle, einladende Wartezimmer ist mit Kamin, Flat-Screen, Musik und Kaffeemaschine ausgestattet und erinnert eher an ein Wohnzimmer. Bei der Planung dachte Becker an einen gemütlichen Treffpunkt für Tierfreund:innen, der zum Austausch einlädt, doch hat Corona mit seinen Abstandsregeln einen Strich durch die Planung gemacht. Die angenehme, wohlige Atmosphäre in der Praxis wird jedoch von seinen Kund:innen sehr geschätzt. "Wir haben bei der Renovierung sehr viel Wert darauf gelegt, den Charme den Jugendstilhauses zu erhalten, ohne natürlich die technischen und hygienischen Anforderungen an den Praxisbetrieb außer acht zu lassen", schwärmt Praxisbesitzer Becker beim Rundgang. Technisch möchte der Tierarzt immer Vorreiter sein, der von sich sagt, dass er von der Technik getrieben sei. Damit die Praxen optimal laufen, hat in beiden jeweils eine Praxismanagerin installiert, die sich nicht nur um das Organisatorische kümmern, sondern auch als Bindeglied zwischen ihm und den Mitarbeitenden fungieren. "Dadurch bleibt mir mehr Zeit für die Dinge, die mir Spaß machen und meinen Entwicklungshunger stillen", weiß Becker, der sich dadurch vermehrt um die tiermedizinische und technische Weiterentwicklung seiner Praxen, sowie um seine anderen Betätigungsfelder kümmern kann. Eines seiner liebsten ist die Telemedizin, die Schritt für Schritt Einzug in die Tiermedizin-Szene finden und die stationäre Arbeit der Tiermediziner:innen ergänzen wird.

Die Telemedizin wird Schritt für Schritt Einzug in die Tiermedizin-Szene finden und die stationäre Arbeit der Tiermediziner:innen ergänzen wird."

Dr. Björn Becker, Bad Bentheim

Veterinärmedizinische Telemedizin ist die Zukunft!

Eines der wichtigsten digitalen tiermedizinischen Dienstleistungen ist die Telemedizin, die derzeit in Deutschland noch nicht weit verbreitet ist, sich jedoch zweifelsohne auf dem Vormarsch befindet. Tierärzt:innen beraten und befunden längst auch digital, rechnen das aber nur selten ab. Rechtlich ist es den Tierärzt:innen erlaubt ist, Telemedizin abzurechnen. In der GOT steht ein Satz von 7 bis 20 Euro für die fernmündliche, digitale Beratung im Einzelfall ohne Untersuchung. Der Arbeitskreis „Telemedizin“ des bpt arbeitet an weiteren Empfehlungen und Unterstützungen für niedergelassene Tierärzt:innen, die Telemedizin einsetzen möchte.

Björn Becker beschäftigt sich schon sehr lange mit dem Thema, hat einige Jahre für den schwedischen Telemedizin-Anbieter "FirstVet" gearbeitet, ist beim Arbeitskreis Telemedizin eingestiegen, macht derzeit seine Dissertation "Veterinärmedizinische Telemedizin" an der TiHo Hannover und lehrt u.a. zu diesem Thema an der Hochschule Neu-Ulm.

Pfotendoctor - Beckers nächster Schritt

All seine Erfahrungen auf dem Gebiet der Telemedizin kann und wird Björn Becker künftig bei "Pfotendoctor" einbringen, dem Telemedizin-Anbieter, der zum Tierärzte-Netzwerk „Tierarzt Plus Partner“ gehört. Becker ist seit Mitte März als Geschäftsführer für die Weiterentwicklung von kreativen Lösungen als Bindeglied zwischen niedergelassener Tierarztpraxis und digitaler Welt zuständig. Becker weiß, dass die Kluft zwischen den Menschen, die die Chancen der Digitalisierung für sich nutzen und denjenigen, die sich vom Tempo der technologischen Veränderung eher überfordert fühlen, größer wird. "Ich freue mich sehr auf die Aufgabe, denn ich kann Leute begeistern und mitreißen", so Becker, der sicher ist, dass Telemedizin mit Sicherheit eine gute digitale Ergänzung zur stationär geleisteten Tierarztleistung darstellt. "Vor allem kann die Telemedizin, wenn sie sich erst einmal durchgesetzt hat, die in Deutschland grassierende tierärztliche Notdienstkrise entkrampfen.“

Der digitale Markt in der Veterinärmedizin entwickelt sich in Deutschland derzeit rasant. Die Telemedizin als ein Baustein dieser Entwicklung wird in Zukunft ein wichtiger Bestandteil der tiermedizinischen Versorgung werden. Björn Becker hat definitiv genügend Power, sein Lieblingsthema in Deutschland salonfähig zu machen.

Fotos: Annemieke Veeneman // Text: Andreas Moll