Die übergewichtige Katze aus ethologischer Sicht

Übergewicht ist aktuell eines der größten Gesundheitsrisiken der Katze. Je nach Altersgruppe ist schon rund jede zweite Katze übergewichtig oder adipös - und die Tendenz ist nach wie vor steigend. In der Tat haben schon so viele Katze zu viel Gewicht auf den Rippen und in der Bauchfalte, dass zumindest die Anfangsstadien als normal angesehen werden. Vor allem Katzeneltern, aber oft auch Tierärzt:innen, haben eine verschobene Eichung für den Verlust der Taille, die so weit geht, dass die athletische, völlig normalgewichtige Katze als zu dünn angesehen wird! Hinzu kommt – ebenso aufgrund der Frequenz dieser Katzenpatienten – eine gewisse Gleichgültigkeit und Müdigkeit, dieses leidige Thema immer wieder anzusprechen. Die Ausreden, warum das kein Übergewicht und die Katze ja glücklich sei, und der Widerstand gegen jegliche Maßnahmen sind endlos wie auch die Erfahrung, dass Erfolge seltener als Misserfolge sind.

Neben dem offensichtlichen Missverhältnis zwischen aufgenommener und verbrauchter Energie, gibt es noch weitere Aspekte, die bei Vorbeugung und Therapie von Übergewicht hilfreich sein können. Die übliche Empfehlung, der Katze weniger Futter oder entsprechendes Diätfutter zu geben und mehr mit ihr zu spielen, funktioniert nur allzu oft nicht wirklich gut. Spezifischere Beratungen, die neben der korrekten Rationsberechnung auch die katzenspezifischen Besonderheiten der Futteraufnahme sowie die psychische Verfassung zusätzlich berücksichtigen, haben deutlich mehr Erfolg.

5 – 20 kleine Snackmahlzeiten

Katzen fressen im Allgemeinen fünf bis zwanzig kleine Snackmahlzeiten über Tag und Nacht verteilt. Die weitaus meisten Katzen haben ein ziemlich gutes Sättigungssignal, wenn sie diesen regelmäßigen Zugang zu Futter haben. Nach zehn bis dreßig Gramm hören sie auf zu fressen, nur um nach zwei Stunden neuerlich den kleinen Hunger zu verspüren. Die immer noch gängige Fütterungsstrategie, zwei- oder dreimal täglich eine umfangreiche Mahlzeit der handelsüblichen Größe von 80 bis 100 Gramm anzubieten, kann für das Futteraufnahmeverhalten nachteilige Konsequenzen haben. Nach einer Hungerphase über acht oder mehr Stunden ist eine Katze sehr hungrig, und das Risiko, dass sie über ihr natürliches Sättigungssignal hinaus weiterfrisst, nimmt zu. Ein gewisser Teil übergewichtiger Katzen dürfte tatsächlich auf zu seltene Mahlzeiten bei gleichzeitig zu großen Portionen zurückzuführen sein. Lernt eine junge Katze hingegen von Anfang an, dass ihr natürlicher Ess-Rhythmus von vielen kleinen Rationen möglich ist, wird sie nicht so heißhungrig, so dass sie zu viel auf einmal frisst.



Ebenso kontraproduktiv ist der Lösungsversuch vieler Katzeneltern, Gewichtsreduktion mit selteneren Mahlzeiten zu erzielen: Ich füttere sie doch nur zweimal am Tag!
 Abnehmen bedeutet für die Katze also nicht seltener zu füttern, sondern ganz im Gegenteil öfter zu füttern! Die vorgesehene Gesamtmenge sollte auf fünf bis zehn Mahlzeiten aufgeteilt werden.

Auch wenn es in der alltäglichen Praxis oft ermüdend ist, immer wieder das gleiche leidige Thema Übergewicht anzusprechen, werden vor allem vorbeugende Beratungen zur artgerechten Fütterung mit realistischen und katzengerechten Tipps gut angenommen."

Sabine Schroll, Praxis für Tiermedizin und Verhaltensmedizin

Langsamer mit gewissem Arbeitsaufwand

Ein weiterer Aspekt ist die Fressdauer. Die ungewohnt kleine Mahlzeit von durchschnittlich 25 Gramm Feuchtfutter ist natürlich so schnell gefressen, dass die Katze in der Zeit bis zur Sättigung noch Hunger meldet. Feuchtfutter - aber insbesondere Trockenfutter - sollten daher grundsätzlich in sogenannten Foodpuzzles derart angeboten werden, dass die Futteraufnahme länger dauert, die Katze langsamer frisst und einen gewissen Arbeitsaufwand hat. Mit gut dosiertem Trockenfutter (Kroketten abzählen lassen!) hat die Katze auch dann Zugang zu Futter, wenn sie tagsüber oder nachts auf sich selbst gestellt ist. Insgesamt macht die ad libitum und zeitaufwendige Fütterung mit Food Puzzles die Katze zufriedener und gibt ihr ein Gefühl von Kontrolle über ihr Leben.



Neben der Langeweile und dem einfachen Zugang zu hochattraktivem Futter kann auch chronische Angst ein Faktor für die Entstehung von Übergewicht sein. Je nach Persönlichkeitstyp kann eine gestresste oder ängstliche Katze lernen, dass ein voller Magen ein subjektives Gefühl von Entspannung vermittelt. Während der gegenteilige Typ unter emotionaler Anspannung und Stress eher das Futter verweigert, lernt die verfressene Katze, dass Futter ihr Weg aus dem Gefühl der Angst ist. Oftmals finden sich in einem Haushalt Katzengeschwister, von denen eine übergewichtig und die andere sichtbar ängstlich, aber normalgewichtig ist. Im Grunde genommen sind beide Katzen ängstlich, aber die übergewichtige Katze hat mit dem Fressen eine Bewältigungsstrategie gefunden, die ihre Angst für den Betrachter unsichtbar macht.



Stress durch Reduktionsdiäten

Reduktionsdiäten können für diese Katzen zusätzlichen Stress verursachen, weil ihnen ja nicht nur die Futtermenge reduziert, sondern ihre bewährte Coping Strategie ohne jeglichen Ersatz genommen wird. Auch wenn es seitens der Katzenbesitzer:innen so nicht explizit erwähnt werden wird, sind es dennoch die berechtigten Emotionen, die eine Gewichtsabnahme verhindern: Das kann ich ihm nicht antun - es geht ihm so gut, wenn er ein sein Futter hat! Besteht auch nur der Verdacht auf eine Angststörung, die durch Übergewicht quasi unsichtbar geworden ist, sollte auf jeden Fall die emotionale Verfassung der Katze parallel unterstützt werden, so dass sie sich auch ohne ihren gewohnt vollen Magen gut fühlen kann.

Ein weiteres Missverständnis ist die Empfehlung, übergewichtige Katzen mit Spielen zu mehr Bewegung und damit zur Gewichtsreduktion zu bringen. Die prinzipielle Überlegung, dass mehr Aktivität den Energieverbrauch erhöht und die Muskelmasse erhält, ist zwar richtig, aber der Weg über vermehrtes Spielen ist nur selten erfolgreich. Denn mit erwachsenen Katzen richtig zu spielen, ist für die meisten Besitzer:innen schon bei Normalgewicht zu anspruchsvoll: Meine Katze spielt ja nicht! Als versierte und ausdauernde Lauerjäger sind Katzen beim (Jagd-) Spiel hocheffizient und denken nicht daran, dabei Energie zu verschwenden.


Wesentlich erfolgversprechender ist es, die Bewegungsaktivität gezielter zu steigern.

Die Katze erhält neben den Food Puzzles zur Selbstbedienung, ein oder zwei Mahlzeiten nur für zurückgelegte Wege. Für eine Krokette muss sie zum Beispiel einmal auf den Kratzbaum ganz hinauf, wieder hinunter und dann quer durch den Vorraum bis ins Schlafzimmer auf das Bett springen. Für einen solchen Katzen-Agility-Parcours reichen Kratzbaum, Sessel und andere erhöhte Punkte in der Wohnung völlig aus. Wenn die Katze zusätzlich noch gelernt hat, mit ihrer Nase einen Targetstick zu berühren, wird das Zeigen des Weges ganz einfach. Innerhalb von zwei bis drei Wochen Training dreht sich die Spirale „Mehr Gewicht - weniger Bewegung“ sichtbar ins Gegenteil, und die Katzen haben Freude an der neugewonnenen gemeinsamen Aktivität und menschlichen Aufmerksamkeit.

Obwohl manche der übergewichtigen Katzen schon von Anfang an keine besonders sportlichen Typen sind, können sie zumindest über gemeinsames Training lernen, ein Laufrad für mehr Aktivität zu benützen. Unabhängig von der Größe eines Haushalts bietet ein Laufrad unendliche Strecken und erlaubt auch energiegeladene Sprints.

Fazit

Auch wenn es in der alltäglichen Praxis oft ermüdend ist, immer wieder das gleiche leidige Thema Übergewicht anzusprechen, werden vor allem vorbeugende Beratungen zur artgerechten Fütterung mit realistischen und katzengerechten Tipps gut angenommen.