Der stressarme Tierarztbesuch
Wie ein katzenfreundlicher Tierarztbesuch aussieht und warum Stressreduktion so wichtig ist.
Katzenhalter:innen haben bei Befragungen in der Vergangenheit schon öfter berichtet, dass sie einen Tierarztbesuch als stressig empfinden. Aber auch für die Katze geht ein Besuch in der Tierarztpraxis oft mit Stress einher. Grund hierfür ist, dass das Tier aus seiner gewohnten und bekannten Umwelt heraus genommen wird. Stress ist dabei das Resultat aus dem Verlust der Kontrolle und der Vorhersagbarkeit über die unmittelbare Umwelt. Dies wiederum löst im Tier eine Emotionslage aus, die folgend eine Verhaltensantwort nach sich zieht. Im Falle eines Tierarztbesuches bedeutet das: Die Trennung von ihrem Sicherheit bietenden Territorium kann bei der Katze zu der Empfindung von Angst führen. Die natürliche Verhaltensantwort auf diese Emotion bei der Katze ist in der Regel das Antreten der Flucht oder das Aufsuchen eines Versteckes. Werden die Katzen allerdings an diesem Flucht- oder Meideverhalten gehindert, so kann das Tier sich gezwungen sehen mit einem aggressiven Verhalten auf angst- oder stressauslösenden Faktoren zu reagieren (fight or flight Prinzip).
Auch wenn zumeist nur bei wenigen Katzen ein aggressives Verhalten gegenüber dem tiermedizinischen Personal beobachtet werden kann, so spielt Stress auf der anderen Seite eine sehr große Rolle während desBesuches - sowohl für Katzenhalter:innen, als auch für die Katzen selbst. Zudem scheint hier ein Zusammenhang zu bestehen: Besitzer:innen, die den Tierarztbesuch als stressig empfinden, beschreiben ihre Katze auch häufiger als gestresst und auch die Wahrscheinlichkeit, dass Besitzer:innen beim Tierarztbesuch gestresst ist, ist erhöht, wenn dieser seine Katze als gestresst wahrnimmt. Das bleibt nicht folgenlos: Nicht nur dass die Katze für diesen Moment des Kontrollverlustes Angst erlebt, auch die Gesundheitsversorgung kann dauerhaft leiden. Zum einen weil Stress auf Seiten des Katzenhalters dazu führen kann, dass dieser Tierarztbesuche zu vermeiden versucht, zum anderen führt Stress seitens des Tieres zu ungenaueren Untersuchungsergebnissen bzw. erschweren die Beurteilung der erhobenen Befunde.
Eine unkooperative Katze kann unter Umständen nicht so ausgiebig untersucht werden wie ein kooperatives Tier, und die Gefahr von Verletzungen seitens des tiermedizinischen Personals und der Katzenbesitzer:innen steigt."
Nicht zuletzt kann eine unkooperative Katze unter Umständen nicht so ausgiebig untersucht werden wie ein kooperatives Tier, und die Gefahr von Verletzungen seitens des tiermedizinischen Personals und der Katzenbesitzer:innen steigt. Insbesondere auch, wenn Schmerzen bei der Katze eine Rolle spielen. Der Schmerz selbst kann mittels Konditionierung durch das Tier mit anderen Stimuli, wie einen Tierarztbesuch, verknüpft werden. Erlebt das Tier eine schmerzvolle Situation beim Tierarztbesuch, so kann diese Erfahrung durch neue positive Erlebnisse nicht wieder „gelöscht“ werden. Erst anhaltende und wiederkehrende positive Erfahrungen in Zusammenhang mit einem Tierarztbesuch können eine schmerzhafte Erfahrung „überschreiben“, was verdeutlicht wie wichtig ein stetiges, positives und einfühlsames
Auftreten von Tierarzt und tiermedizinischem Fachpersonal ist.
Vorbereitungen für einen stressarmen Tierarztbesuch
Ein Tierarztbesuch beginnt bereits zu Hause. Über Training und Gewöhnung des Tieres an Transport, Handling und diagnostische Maßnahmen kann der Katze einen Teil der Kontrolle über ihre Umwelt wiedergegeben und die Unvorhersehbarkeit der tierärztlichen Untersuchung genommen werden. Dazu müssen seitens der Katzenbesitzer:innen im Voraus Vorbereitungen für den Tierarztbesuch getroffen werden. Ein freiwilliges Einsteigen der Katze in die Transportbox und das Kennenlernen der Transportsituation sollte mittels eines Boxentrainings geübt werden. Ein sogenanntes Medical Training, also das Üben des Anfassens von Ohren und Pfoten oder das Öffnen des Mäulchens im heimischen und entspannten Umfeld kann helfen die Katze mit den Maßnahmen, die sie in der Tierarztpraxis erwarten, im Voraus vertraut zu machen. Eine Decke, die zunächst über dem Katzenkorb und bei der Untersuchung auf dem Behandlungstisch ausgebreitet werden kann, sollte außerdem zu jeder Grundausstattung für einen Tierarztbesuch mit Katze zählen und durch den Katzenbesitzer mitgebracht oder an der Anmeldung der Praxis an die Besitzer ausgehändigt werden. Eine Decke über die Transportbox gelegt gibt dem Tier die Möglichkeit zum Verstecken. Unterstützend bietet sich zudem ein Präparieren der Decke mit einem Pheromonspray an. Zusätzlich ist es ratsam den Tierarztbesuch, sofern es sich um planbare Untersuchungen handelt, vorausschauend zu organisieren. Für die Besitzer:innen bedeutet dies, zu Hause keine Eile aufkommen zu lassen. Für die Tierarztpraxis, wenn möglich, Termine zu vergeben, da Katzen weniger Stress empfinden, wenn sie keinen langen Wartezeiten ausgesetzt sind.
Katzen empfinden Stress aufgrund der Unvorhersehbarkeit und des Kontrollverlustes, dem sie während des Tierarztbesuches ausgesetzt sind und empfinden in Folge dessen Angst. Katzenfreundliche Umgangs- und Behandlungsmethoden wiederum minimieren den Stress und damit auch die Angst der Katzen."
Die katzenfreundliche Tierarztpraxis
Katzen und Hunde sollten im Wartezimmer separiert werden. Katzen lieben es aus einem sicheren Versteck heraus die Umgebung zu beobachten. Daher sollte die Transportbox nicht auf dem Boden, sondern auf einem erhöhten Platz abgestellt werden. Optimalerweise sind Hunde für die Katze weder zu hören noch zu sehen oder zu riechen, weshalb auch im Behandlungsraum keine Gerüche des vorherigen Patienten in der Luft liegen sollten. Auch der Geruch nach scharfen Desinfektionsmitteln sollte vermieden werden und eine geruchs-neutrale Atmosphäre im Behandlungsraum geschaffen werden. Die Behandlung selbst sollte so entspannt wie möglich ablaufen. Eine gute Vorbereitung ist alles: Alles was für die Untersuchung und Behandlung des Tieres benötigt wird, sollte griffbereit sein. Das tiermedizinisches Personal sollten nur langsame aber dennoch gezielte Bewegungen machen und mit ruhiger Stimme sprechen. Diffusoren mit synthetischen Pheromonen können zudem zur Entspannung beitragen und helfen den Stress der Katzen zu minimieren. Während der Anamneseerhebung kann der Katze die Möglichkeit gegeben werden selbstständig die Transportbox zu verlassen und das Behandlungszimmer zu erkunden.
Der Untersuchung selbst sollte ein Kennenlernen der Katze vorangestellt werden: zunächst darf die Katze an der Hand des Untersuchers schnuppern, dem folgend kann die Katze zur Begrüßung am Kopf gestreichelt werden; Berührungen in der Temporal- und Kinnregion werden durch die Tiere bevorzugt. Untersuchung und Behandlung sind in der Reihenfolge der Invasivität nach durchzuführen (sich steigernd von wenig bis sehr invasiv) um das Überschreiten der Toleranzschwelle der Katze nicht zu forcieren.
Eine starke Fixation während Untersuchung und etwaiger diagnostischer Maßnahmen sollte nicht erfolgen; vielmehr ist ein sanftes Zurückhalten der Tiere ohne Zwang oder eine der Wickel-Techniken nach Dr. Sophia Yin (wie z.B. den Handtuch-Schal) zu bevorzugen. Das Halten im Nackengriff, das zum Auslösen des Immobilisationsreflexes führt, lässt die Tiere weiterhin große Angst empfinden, auch wenn sie immobilisiert sind und ist deshalb unbedingt abzulehnen. Besitzer sollten nach der Behandlung darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Katze, wieder zu Hause angekommen, zunächst in Ruhe gelassen wird bis die Erregung, ausgelöst durch den Tierarztbesuch, abgeklungen ist und das Tier von sich aus wieder die Nähe sucht. Besitzer:innen von Mehrkatzenhaushalten sollten wissen, dass es nach dem Besuch zu Aggressionen unter den Katzen kommen kann und dahin gehend beraten werden die Katzen zunächst zu trennen. Damit kann verhindert werden, dass sich aufgestaute Spannungen in aggressivem Verhalten den anderen Katzen gegenüber entladen oder die zu Hause gebliebenen Katzen mit Aggression auf unbekannte Gerüche der Katze, die in der Praxis vorgestellt wurde, reagieren.
Take Home Messages
Katzen empfinden Stress aufgrund der Unvorhersehbarkeit und des Kontrollverlustes, dem sie während des Tierarztbesuches ausgesetzt sind und empfinden in Folge dessen Angst. Katzenfreundliche Umgangs- und Behandlungsmethoden wiederum minimieren den Stress und damit auch die Angst der Katzen.
Vorteile des katzenfreundlichen Handlings sind:
1. weniger Verletzungen von Personal und Besitzer:innen
2. Untersuchungsergebnisse sind exakter!
3. Folgebesuche gestalten sich einfacher und sichern die Gesundheitsversorgung des Tieres
4. emotionale Gesundheit der Katze wird berücksichtigt