Unterschätzte Narkosekomplikation: Hypothermie in der perioperativen Phase

Die perioperative Phase stellt für Hund und Katze eine kritische Zeit dar, in der die Tiere verschiedenen Risiken ausgesetzt sind. In der Studie “The risk of death: Confidential Enquiry into Perioperative Small Animal Fatalities” von David C. Brodbelt (2008) wurde das Mortalitätsrisiko im Zusammenhang mit der Narkose untersucht. Laut der Studie beträgt das Mortalitätsrisiko bei gesunden Hunden 0,0005 % (1:2000) und bei Katzen 0,0011 % (1:909). Bei erkrankten Tieren ist das Risiko deutlich höher. So verstirbt ein Hund von 75 (0,013 %) und eine Katze von 71 (0,014 %) im Zusammenhang der Narkose innerhalb der ersten 48 Stunden.

Das Risiko für Narkosekomplikationen wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, zu denen neben der Hypothermie auch Angst, Schmerz, Hypoglykämie, Anämie, Dehydration, lebensbedrohliche Arrhythmien, Elektrolytverschiebungen, Zyanose, kongestives Herzversagen und Pneumothorax gehören. Trotz ihrer Häufigkeit in der prä-, peri- und postoperative Phase wird die Hypothermie häufig unterschätzt. Dabei hat sie erhebliche Auswirkungen auf die postoperative Erholung und das Wohlbefinden der Tiere.

Was ist Hypothermie?

Hypothermie beschreibt den Zustand, bei dem die Körpertemperatur eines Tieres den physiologischen Normwert unterschreitet. Laut den AAHA-Guidelines (American Animal Hospital Association) liegt eine klinisch relevante Hypothermie vor, wenn die Körpertemperatur unter 37,2° C sinkt (Hund und Katze). Dieser Schwellenwert kann je nach Quelle variieren, doch in der Praxis wird er häufig als Referenzwert genutzt. Eine Hypothermie kann eine Reihe von physiologischen Störungen auslösen, die nicht nur die postoperative Erholung verzögern, sondern auch lebensbedrohliche Folgen haben können, wenn sie unbehandelt bleibt.

Entstehung der Hypothermie in der perioperativen Phase

Die Körpertemperatur ist ein empfindlicher Parameter, der durch eine Balance zwischen Wärmeproduktion und Wärmeverlust aufrechterhalten wird. Die Thermogenese (Wärmeproduktion) erfolgt durch mechanische Thermogenese (z.B. Muskelkzittern) und Stoffwechselthermogenese. Wärmeverlust tritt über Konduktion (Wärmeübertragung durch direkten Kontakt), Konvektion (Wärmeübertragung durch Luft oder Flüssigkeit) und Evaporation (Verdunstung von Wasser) auf. Der Hypothalamus im Gehirn als zentraler Regelmechanismus spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem er auf äußere und innere Einflüsse reagiert und autonome Reaktionen steuert. Im Rahmen der Narkose werden jedoch verschiedene physiologische Stoffwechselmechanismen gestört, was zu einer negativen Wärmebilanz führen kann.

Anästhetika, insbesondere Inhalationsnarkotika wie Isofluran oder Sevofluran, dämpfen die thermoregulatorische Funktion des Körpers, indem sie das zentrale Nervensystem beeinflussen. Sie vermindern die Wärmeproduktion durch reduzierte Muskelaktivität und Reflexe und erschweren es dem Körper, die Temperatur stabil zu halten.

Die Dauer des chirurgischen Eingriffs ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Je länger ein Eingriff dauert, desto größer ist die Gefahr eines kontinuierlichen Wärmeverlusts. Besonders bei umfangreichen Operationen oder längeren Anästhesiezeiten steigt das Risiko eines Temperaturabfalls signifikant.

Neben Anästhesie und Operationsdauer spielt auch die Kondition des Patienten eine Rolle. Kleine Tiere haben aufgrund ihrer größeren Körperoberfläche im Verhältnis zum Körpervolumen eine größere Wärmeabgabe, was sie anfälliger für Hypothermie macht. Insbesondere wenig behaarte oder ältere Tiere, haben eine verringerte Fähigkeit zur Wärmespeicherung. Tiere mit endokrinen Erkrankungen wie Diabetes oder Hypothyreose weisen eingeschränkte thermoregulatorische Mechanismen auf, die das Risiko einer Unterkühlung erhöhen. Dehydrierte Tiere haben aufgrund ihrer reduzierten Fähigkeit Wärme zu speichern, ein erhöhtes Risiko für Temperaturabfälle. Darüber hinaus spielen äußere Umstände eine Rolle. Der direkte Kontakt mit kalten Oberflächen, wie etwa dem Operationstisch (Konduktion), oder die kühle Umgebungsluft des klimatisierten Operationssaales (Konvektion) beschleunigen den Wärmeverlust.

Die frühzeitige Erkennung und präventive Maßnahmen gegen Hypothermie sind essenziell für eine sichere Anästhesie sowie eine optimale Rekonvaleszenz nach den chirurgischen Eingriffen. Eine konsequente Überwachung der Körpertemperatur ist während des gesamten operativen Prozesses unerlässlich, um das Risiko für schwerwiegende Komplikationen zu verringern."

Vanessa Hellmann, AniCura Kleintierzentrum Wahlstedt

Auswirkungen der Hypothermie

Wenn die Körpertemperatur eines Tieres unter den physiologischen Normwert fällt, hat dies weitreichenden Konsequenzen auf verschiedene biologische Prozesse. Hypothermie kann sowohl die Narkose als auch die postoperative Erholung erheblich verzögern und zu schwerwiegenden Komplikationen führen.

Eine der bedeutendsten Folgen der Hypothermie ist die verlangsamte Narkoseresorption und -ausscheidung. Die Metabolisierung von Anästhetika bei Unterkühlung hat eine verlängerte Narkosephase und längere Stationsaufenthalte zur Folge. Dies verzögert die Aufwachphase und kann das Risiko für postoperative Komplikationen erhöhen, wie zum Beispiel eine verzögerte Atmung oder eine schlechte Reaktion auf Schmerzmittel. In extremen Fällen kann Hypothermie sogar zu einem Schockzustand führen.

Kardiovaskulären Veränderungen wie Bradykardie und Hypotonie führen zu einer Vasokonstriktion, was die Blutzirkulation und damit die Sauerstoffversorgung der Organe verringert. Besonders häufig betroffen sind die Niere und das ZNS. Das Kältezittern kann eine Hypoxämie, Azidose und Hypoglykämie durch den Kältestress zur Folge haben (Thermal management of the patient: where does the patient lose and/ or gain temperature, Akiko Taguchi, 2005)

Ein weiterer kritischer Punkt ist die gestörte Koagulation. Durch die Hypothermie wird die Aktivität der Enzyme verringert, was das Risiko für intra- und postoperative Blutungen erhöht. Auch die Wundheilung wird durch Hypothermie verzögert. Niedrige Temperaturen beeinträchtigen die Zellaktivität. In Verbindung mit einer verminderten Durchblutung steigt das Risiko für Infektionen und Entzündungen. Zusätzlich hat Kälte einen negativen Einfluss auf das Immunsystem. Bei niedrigen Temperaturen ist die Immunantwort des Körpers verzögert, wodurch das Tier anfälliger für postoperative Infektionen ist.

Beim Menschen wird auch ein thermaler discomfort beschrieben. Insgesamt kann Hypothermie die postoperative Rekonvaleszenz erheblich erschweren, das Risiko für Komplikationen erhöhen und die Genesung verlängern. Die Auswirkungen machen es notwendig, gezielte präventive Maßnahmen zu ergreifen, um eine Hypothermie zu verhindern und die Körpertemperatur während und nach der Operation stabil zu halten.

Prävention der Hypothermie

Die frühzeitige Erkennung von Hypothermie ist der erste Schritt in ihrer Prävention während der perioperativen Phase. Die kontinuierliche Messung der Körpertemperatur ermöglicht eine präzise Diagnosestellung. Ein regelmäßiges Temperaturmonitoring mindestens alle 15–30 Minuten sollte als Standardverfahren etabliert werden, um den Verlauf der Temperaturentwicklung während der gesamten Anästhesie zu überwachen. Die Messung der Körperkerntemperatur ist dabei entscheidend, um ein verlässliches Bild zu erhalten. Dies kann entweder durch ein rektales Thermometer (Goldstandard) oder durch den Einsatz von speziellen ösophagealen Sonden erfolgen. Die ösophagale Sonde wird aufgrund der Position neben dem Tubus und somit in unmittelbarer Nähe des Monitoring Equipments, von der Autorin als eine äußerst praktikable Methode angesehen. Das frühzeitige Erkennen von Temperaturabfällen durch ein kontinuierliches Temperaturmonitoring ermöglicht ein schnelles und gezieltes Eingreifen.

Die wichtigste Prävention ist die frühzeitige und konsequente Verwendung eine aktive oder passive Wärmequelle. Hierzu zählen Infusionswärmepumpen, Heizmatten, Wärmeluftgebläse und Infrarotlampen. Diese helfen den Wärmeverlust zu verhindern. Dabei ist die Größe der Kontaktfläche zwischen Matte und Patient entscheidend für die Effizienz des Gerätes. Je größer und besser perfundierte die Kontaktfläche ist, desto wirksamer ist die Wärmebehandlung. Dabei sind jedoch Druck- und Hitze-Nekrosen zu vermeiden.

Besonders Wärmeluftgebläse sind an dieser Stelle hervorzuheben. Sie bieten die Möglichkeit eines effizienten, aktiven Wärmemanagements. Die dafür vorgesehenen Wärmematten sind sowohl als Einmal- als auch als Mehrwegprodukte verfügbar. Zugleich ist das Risiko für thermale Schäden der Haut im Vergleich zu herkömmlichen Wärmematten deutlich reduziert. Besonders bei längeren Operationen sollten diese Wärmequellen kontinuierlich überwacht und angepasst werden, um eine konstante Temperatur zu gewährleisten. Dabei ist es wichtig, die Wärmequelle so zu wählen, dass eine Überhitzung vermieden wird. Kühle Operationsflächen sollten nach Möglichkeit vermieden und bei Bedarf mit speziellen, isolierten Matten oder Tüchern bedeckt werden, um den Wärmeverlust über direkten Kontakt zu minimieren.

Auch nach der Operation sollte die Temperatur des Tieres kontinuierlich überwacht werden. Eine langsame Wiedererwärmung im Aufwachraum, die Temperaturüberwachung in den ersten Stunden nach dem Eingriff sowie die gezielte Unterstützung durch Wärmesystemen sind entscheidend, um eine sichere Aufwachphase zu gewährleisten. Zudem kann eine präoperative Flüssigkeitszufuhr dazu beitragen, den metabolischen Bedarf des Körpers zu stabilisieren.

Fazit

Die perioperative Hypothermie stellt eine ernstzunehmende, unterschätzte Komplikation dar, da sie zahlreiche physiologische Prozesse negativ beeinflussen kann, inklusive der Narkoseresorption, Blutgerinnung, Wundheilung und Immunantwort. Besonders bei längeren chirurgischen Eingriffen oder Tieren mit bestimmten Risikofaktoren wie kleiner Körpergröße, fortgeschrittenem Alter oder Vorerkrankungen ist das Risiko für eine Hypothermie erhöht. Die proaktive Prävention von Hypothermie sollte durch kontinuierliches Temperaturmonitoring, den Einsatz gezielter Wärmetechnologien und eine gezielte Überwachung der postoperativen Phase erfolgen, um das Risiko von Komplikationen zu minimieren. Eine frühzeitige Intervention ist daher unerlässlich, um diese Komplikation zu vermeiden und eine sichere und erfolgreiche Narkose zu gewährleisten.

Take Home Message

Die frühzeitige Erkennung und präventive Maßnahmen gegen Hypothermie sind essenziell für eine sichere Anästhesie sowie eine optimale Rekonvaleszenz nach den chirurgischen Eingriffen. Eine konsequente Überwachung der Körpertemperatur ist während des gesamten operativen Prozesses unerlässlich, um das Risiko für schwerwiegende Komplikationen zu verringern.