Tiermedizin trifft Genetik – Genetisch bedingte hämatologische Störungen bei Katzen
Die Genetik ist ein spannendes Thema und wird uns in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen. Das Wissen um genetische Varianten und die Möglichkeit der Gentestung wächst täglich.
Hämatologische Störungen
In den Komplex der hämatologischen Störungen fallen sowohl Blutgerinnungsstörungen als auch Blutzelldefekte (Tabelle 1). Obwohl wenn in der täglichen Praxis der blutende Hund im Vordergrund steht, sind auch bei der Katze mehrere erblich bedingte Koagulopathien beschrieben, die auf den Mangel an verschiedenen Gerinnungsfaktoren zurückzuführen sind.
Die Hämophilien A und B können durch den Mangel an den Gerinnungsfaktoren VIII bzw. IX beispielsweise zur Bildung von ausgeprägten Hämatomen führen. Betroffen sind männliche Tiere aufgrund des X-chromosomal-rezessiven Erbganges. Diese blutenden Kater benötigen frisches (gefrorenes) Plasma zur Blutstillung. Im Labor finden wir bei Mangel von F VIII oder F IX eine Erhöhung der partiellen Thromboplastinzeit (PTT), während bei Faktor-X-Mangel sowohl PTT als auch die Prothrombinzeit (PT) verlängert sind. Eine besondere Stellung unter den Erbkrankheiten nimmt die Vitamin-K-abhängige Koagulopathie der Devon Rex ein. Hier sind gleich mehrere Faktoren (II, VII, IX, X) defizient und auch hierbei sind PTT und PT verlängert. Erfreulicherweise spricht diese Erkrankung gut auf eine orale Vitamin-K-Behandlung an.
Eine Faktor-XI-Defizienz betrifft Maine-Coon-Katzen. Die Blutungstendenz bei Faktor-XI-Mangel ist im Gegensatz zu oben genannten Hämophilien nur geringgradig erhöht. Typisch sind Hämatome und andere leichte Blutungen, die nur manchmal nach Trauma oder chirurgischen Eingriffen auftreten. Ein Faktor-XI-Mangel verlängert die PTT, während die PT normal bleibt. Laboklin hat Maine-Coon-Katzen mit erhöhter Blutungsneigung sowie deren Verwandte untersucht und einen Defekt in dem Gen, das Faktor XI codiert, identifiziert. Dabei wurden auch homozygot erkrankte und Trägertiere (Carrier) in Europa nachgewiesen. Der Faktor-XI-Mangel wird autosomal-rezessiv vererbt. In der Studie mit mehr als 1000 Main-Coon-Katzen waren 32 % heterozygot und 5 % homozygot für die Faktor-XI-Mangel-Variante. Anhand eines Gentests können Maine-Coon-Katzen, die ein erhöhtes Blutungsrisiko tragen, aber auch symptomlose Trägertiere sicher identifiziert werden. Dadurch kann nicht nur die Verbreitung des Gendefektes bei der Zucht eingeschränkt, sondern im klinischen Fall einer erhöhten Blutungsneigung Behandlungssicherheit erlangt werden.
Die Genetik ist ein spannendes Thema und wird uns in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen. Das Wissen um genetische Varianten und die Möglichkeit der Gentestung wächst täglich."
Die Faktor-XII-Defizienz, auch Hageman-Faktor-Mangel
genannt, wird ebenfalls autosomal-rezessiv vererbt und betrifft viele Rassen, dabei häufig die Kurzhaarhauskatze. Im Faktor-XII-Gen wurden zwei unterschiedliche Varianten beschrieben, die einen F-XII-Mangel auslösen. Von einer der beiden Varianten homozygot betroffene Katzen
besitzen eine stark reduzierte F-XII-Aktivität, während bei heterozygot betroffenen Katzen nur eine moderat verringerte F XII-Aktivität messbar ist. Liegen in einer Katze beide Varianten heterozygot vor, ist davon
auszugehen, dass kein funktionsfähiges F-XII-Protein gebildet wird. Die Katze ist somit wie eine homozygot betroffene Katze anzusehen. Ein F-XII-Mangel verlängert die (PTT) im Plasma, ohne die Blutungsneigung
bei betroffenen Katzen zu erhöhen. Diese genetisch bedingte Erkrankung ist die bei Katzen am häufigsten auftretende Koagulopathie. Die massiv erhöhten PTT-Werte sind häufig Zufallsbefunde, können aber bei der
Beurteilung von blutenden Patienten, z.B. im Rahmen einer chirurgischen Maßnahme zu diagnostischen Schwierigkeiten führen.
Zu den Blutzelldefekten gehört die Pyruvatkinase-Defizienz, von der verschiedene Rassen betroffen sein können: Abessinier, Bengal, Europäisch Kurzhaar, LaPerm Longhair, LaPerm Shorthair, Maine Coon, Norwegische Waldkatze, Ocicat, Savannah, Sibirische Katze, Singapura, Somali, Türkisch Angora, Ägyptische Mau. Bei dieser Erkrankung, die auch bei Menschen und Hunden vorkommt, fehlt den roten Blutkörperchen das Enzym Pyruvatkinase, welches für die Energiegewinnung der Erythrozyten wichtig ist. Aufgrund einer beeinträchtigten Glykolyse in den Erythrozyten ist ihre Lebensdauer stark verkürzt, wodurch eine chronischeregenerative hämolytische Anämie hervorgerufen wird. Betroffene Tiere können neben wiederkehrenden Symptomen der Anämie auch schwere "hämolytische Krisen" mit Gelbsucht und Fieber entwickeln. Die Anzahl der roten Blutkörperchen kann normal, aber auch mäßig bis hochgradig vermindert sein. Verdächtig ist eine erhöhte Zahl juveniler Erythrozytenformen bei einer normalen Erythrozytenzahl. Gelegentlich ist eine vergrößerte Milz tastbar oder in der Bildgebung auffällig. Aufgrund des unspezifischen Krankheitsbildes ist es wichtig, dass eine Pyruvatkinase-Defizienz in Betracht gezogen wird, wenn die Routinelaboruntersuchungen nicht zu einer Diagnose führen. Da es bisher keine spezifische Therapie für die PK-Defizienz gibt, ist die zuchthygienische Vorbeugung wichtig. Bei intermittierenden Krankheitsschüben führen manchmal der Einsatz von Prednisolon oder die Splenektomie zur Besserung. Bei schweren Anämien können Bluttransfusionen lebensrettend sein. Für diese Patienten ist die Durchführung einer Blutgruppenbestimmung sinnvoll. Bei betroffenen Tieren sollten Stress und Infektionsrisiken minimiert werden, da dadurch hämolytische Krisen ausgelöst werden können.
Eine im weiteren Sinne erblich bedingte Erkrankung der Blutzellen ist die neonatale Isoelektrolyse. Hierbei handelt es sich um eine Blutgruppenunverträglichkeit, die bei Neugeborenen zum Tode führen kann. Kitten von Katzen mit der Blutgruppe B in einer Verpaarung mit Katern anderer Blutgruppen (A, C) entwickeln Antikörper, die bei der Kolostrumaufnahme zu einer dramatischen Reaktion führen. Auch, wenn die Mehrheit der Katzen (zwischen 74 und 99 % je nach Rasse) Blutgruppe A hat, besteht das Risiko der neonatalen Isoelektrolyse bei jedem Wurf, bei dem die Blutgruppen der Eltern nicht bekannt sind. Ein Viertel aller Britisch Kurzhaar-Katzen hat die Blutgruppe B (Tabelle 2).
Nicht nur für die Zucht, sondern auch für den Fall einer Bluttransfusion ist die Kenntnis der Blutgruppe wichtig, besonders vor dem Hintergrund der steigenden Beliebtheit der Rasse Britisch Kurzhaar.