Degenerative Myelopathie (DM) – „Nur ein alter Hund“, oder doch ein vermeidbarer Gendefekt?

Die degenerative Myelopathie (DM) ist eine neurodegenerative Erkrankung, die bei allen Hunden vorkommt. In verschiedensten Rassen vom Zwergpudel bis Leonberger sind Fälle bekannt. Es handelt sich um eine altersabhängige Lähmungserscheinung die progressiv verläuft. Erste Symptome der Erkrankung äußern sich ab einem Alter von ca. sechs bis zehn Jahren (je nach Größe des Hundes) in den Hintergliedmaßen. Ein typischer Verlauf der DM beginnt mit Überköten und Nachschleifen der Hintergliedmaßen sowie abgewetzten Krallen, gefolgt von fortschreitenden Lähmungen mit Muskelschwund und gestörten Reflexen. Es kann auch zu Inkontinenz kommen. Schließlich können betroffene Tiere das eigene Körpergewicht nicht mehr stützen und brechen daher hinten ein, oder fallen um. Liegende Hunde können nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen. Tragehilfen und Hunderollstühle sind in diesem Stadium oft das letzte Mittel um das Tier beweglich zu halten. Da auch die Schmerzwahrnehmung beeinträchtigt ist, sind die Tiere in den beobachteten Fällen typischerweise schmerzfrei und lebensfroh.

Die Therapiemöglichkeiten für DM-Patienten sind sehr begrenzt und es gibt keine ursächliche Behandlung der Krankheit. Dies bedeutet, dass die Tiere in den meisten Fällen nach ca. 2-3 Jahren euthanasiert werden müssen.

Genetische Ursache der DM

Ein genetischer Hochrisikofaktor für alle Rassen, sowie eine rassespezifische ursächliche Variante beim Berner Sennenhund für die Entwicklung einer DM sind wissenschaftlich beschrieben. Beide finden sich in der DNA-Sequenz des Superoxid-Dismutase 1 Enzyms im SOD1-Gen. Die Mutation des Hochrisikofaktors im Exon 2 des SOD1-Gens wurde bei vielen Rassen nachgewiesen, während die ursächliche Variante des Exon 1 bisher ausschließlich beim Berner Sennenhund gefunden wurde. Die genetischen Veränderungen bewirken in beiden Fällen, dass die Schutzzellen (das Myelin) um die Nervenzellen abgebaut werden. Nervensignale werden somit zunächst verlangsamt und schließlich unterbrochen. Je länger ein Nerv ist, desto eher wird die Reizleitung gestört, daher erkranken große Hunderassen früher (erste Symptome mit 6 Jahren) als kleine Hunderassen (durchaus erst mit 14 Jahren). Erste Symptome betreffen die Körperteile, welche am weitesten vom zentralen Nervensystem entfernt liegen. Da Motoneuronen ebenso wie sensorische Neuronen betroffen sind, geht man davon aus, dass die Symptome der DM schmerzfrei auftreten, was eine klare Abgrenzung zu ähnlichen Erkrankungen und Schädigungen des Rückenmarks darstellen kann. Eine Verbesserung der Symptome oder gar eine Heilung der genetisch bedingten DM ist beim momentanen Stand der Medizin nahezu ausgeschlossen.

Der DNA-Test auf die degenerative Myelopathie aus diagnostischer und züchterischer Sicht sehr zu empfehlen ist. In der Diagnose kann die mögliche genetische Ursache einer Krankheit erfasst und von ähnlichen Erkrankungen abgegrenzt werden. Innerhalb der Zuchtpopulation kann eine präventive Überprüfung auf DM die Verpaarung zweier Träger-Hunde von vorne herein verhindern. So kann unnötiges Leid für Hund und Besitzer:innen vermieden werden."

Dr. rer. nat. Christoph Beitzinger, Laboklin

Diagnose und Differentialdiagnose

Die Diagnose kann am lebenden Hund nur als Ausschlussdiagnose erfolgen, da eine spezialisierte Untersuchung des betroffenen Rückenmarks erst post mortem möglich ist. Da die Symptome einer DM auch bei anderen Erkrankungen ähnlich vorliegen, sollten vor allem ein Bandscheibenvorfall, das Cauda-equina-Syndrom und Tumore oder Verletzungen des Rückenmarks abgeklärt werden. Sicher kann der Gentest daher auch aus diagnostischen Gesichtspunkten empfohlen werden, sollte aber in einer fundierten Diagnose nicht für sich alleine stehen. Der genetische Test auf DM ermöglicht es zusätzlich, frühzeitig Risiken für diese gravierende Krankheit zu erkennen und züchterisch zu vermeiden, dass betroffene Tiere auftreten (siehe Zuchtstrategien).

Statistische Auswertung des Gentests

Bei Laboklin wurden in den vergangenen Jahren (2012-2019) über 54000 Proben von über 100 verschiedenen Hunderassen genetisch auf DM Exon 2 analysiert. Davon waren 66 % der getesteten Tiere genetisch frei (Genotyp N/N), 25 % mischerbig Träger (Genotyp N/DM) und 9 % reinerbig betroffen (Genotyp DM/DM). Die Allelfrequenz (Häufigkeit, mit der ein bestimmtes Allel in einer Population vorkommt) des Hochrisiko-Allels für DM im Exon 2 liegt somit bei 21,5 %. Sie variiert stark in verschiedenen Rassen. Während sie zum Beispiel beim Rhodesian Ridgeback mit 5,8 % sehr gering ist, ist der Wert von 35,9 % in der Rasse Hovawart alarmierend hoch.

Es ist zu beachten, dass sich die Statistik nur auf die bei Laboklin getesteten Proben bezieht und die Verteilung der Genotypen in der Teilpopulation einer Rasse oder Linie (z.B. Amerikanische Subpopulation) davon stark abweichen kann. Außerdem wird der Test oft zu diagnostischen Zwecken bei Tieren mit einschlägiger Symptomatik im entsprechenden Alter eingesetzt wird und die Risikovarianten entsprechend häufiger als in einer unabhängig erstellten Stichprobe detektiert.

Zuchtstrategien

DM wird als Hochrisikofaktor autosomal-rezessiv mit unvollständiger Penetranz vererbt. Das bedeutet, dass ein Hund nur erkrankt, wenn er je ein betroffenes Gen von Vater und Mutter erhalten hat. Es müssen also sowohl Vater- als auch Muttertier das mutierte Gen tragen. Träger, d.h. Tiere mit nur einem veränderten Gen, besitzen zwar selbst kein erhöhtes Risiko zu erkranken, geben aber die Erbanlage mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an ihre Nachkommen weiter. Daher können genetisch betroffene Tiere vermieden werden, wenn in einer Verpaarung immer mindestens ein Partner den Genotyp N/N aufweist. Auch die Zucht mit betroffenen Hunden des Genotyps DM/DM ist so in begründeten Einzelfällen (mit einem frei getesteten Partner) möglich. Die Verpaarung zweier phänotypisch völlig gesunder Trägertiere (Genotyp N/DM), in der mit 25 % Wahrscheinlichkeit Welpen mit dem Hochrisikogenotyp fallen, kann nur über den Gentest verhindert werden.

Resümee

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der DNA-Test auf die degenerative Myelopathie aus diagnostischer und züchterischer Sicht sehr zu empfehlen ist. In der Diagnose kann die mögliche genetische Ursache einer Krankheit erfasst und von ähnlichen Erkrankungen abgegrenzt werden. Innerhalb der Zuchtpopulation kann eine präventive Überprüfung auf DM die Verpaarung zweier Träger-Hunde von vorne herein verhindern. So kann unnötiges Leid für Hund und Besitzer:innen vermieden werden.