Urinuntersuchung beim Kleinsäuger
Jana Liebscher & Jutta Hein, Bad Kissingen
Eine Urinuntersuchung ist beim Kleinsäuger genauso hilfreich wie bei Hund oder Katze. Klassische Indikationen sind Urinveränderungen, Unsauberkeit, Polydipsie/Polyurie oder andere Gründe für Verdacht auf Harnwegserkrankung oder Endokrinopathie. Außerdem dient er im Rahmen von jährlichen Gesundheitsscreenings und gerade im Notfall der schnellen Überprüfung der Nierenfunktion und der Stoffwechsellage. Mit wenigen Hilfsmitteln (Refraktometer, Teststreifen, Objektträger, Mikroskop) gelangt man schnell zur Diagnose.
Wie gewinne ich eine Urinprobe?
Beim Kleinsäuger besteht die Möglichkeit, den Urin auf unterschiedliche Arten zu gewinnen [1]:
Spontanurin
- Auffangen ohne Manipulation
- Box mit nicht-saugfähiger Einstreu oder Gitterbox
Blasenkompression
- Tier vorne anheben, Blaseninhalt aufschütteln, sanft ausmassieren (Abb. 1)
Katheterisierung
- steriler Katerkatheter oder kleine Ernährungssonde
- Rückenlage, ggf. Sedation
- schwierig bei weiblichen Kaninchen (gemeinsamer Urethra- und Vaginalausgang) und männlichen Meerschweinchen (große Samenblasendrüsen)
Zystozentese
- Rückenlage
- Punktion (30 – 45 °, 22 G Kanüle) unter Ultraschallkontrolle oder blind (Fixation der Blase zwischen den Fingern)
Was gibt es für Untersuchungsmethoden?
Kleinsäugerurin kann mit denselben Methoden, wie auch bei anderen Tierarten, untersucht werden:
- makroskopische Untersuchung (Farbe, Geruch, Trübung)
- Urinstatus (Urinspezifisches Gewicht (USG), Teststreifen: Protein, Blut, pH-Wert, Bilirubin, Urobilinogen, Glucose, Nitrit, Ketonkörper)
- Sedimentuntersuchung (Erythrozyten, Leukozyten, Bakterien, Hefen, Zylinder, Epithelien, Kristalle)
- bakteriologische Untersuchung
- Harnsteinanalyse (Infrarotspektroskopie)
- PCR zum direkten Erregernachweis (Bsp.: Encephalitozoon cuniculi, Leptospiren, Staupevirus)
Die Bestimmung des Urin-Protein/Kreatinin-Quotient (UPC) sowie des Urin-Kortisol/Kreatinin-Quotient (UCC) sind beim Kleinsäuger nicht hilfreich.
UPC wird bei Hund, Katze und Pferd zur Früherkennung von Nierenfunktionsstörungen und Eiweißverlusten über den Harn bestimmt. Bei blutigem Urin oder aktivem Sediment (Leukozyten, Kristalle) korreliert der UPC nicht mit der Nierenfunktion. Referenzwerte sind zwar in der Literatur zu finden, jedoch spielt die Art der Probengewinnung eine wesentliche Rolle und hat somit Einfluss auf die Höhe des Quotienten [2, 3]. Da der Urin beim Kleinsäuger selten klar und ohne Beimengungen ist, ist die Aussagekraft hier daher extrem fraglich [4].
Die Bestimmung von UCC wird beim Hund zur Diagnose
einen Morbus Cushing verwendet. Verwertbare Referenzwerte für
Kleinsäuger (Meerschweinchen, Hamster, Ratte) liegen bisher nicht vor.
Bei einem gesunden Meerschweinchen wurde von einem UCC > 2000
berichtet [5], was den UCC als ungeeignet in der Diagnostik erscheinen
lässt. Referenzwerte für UCC beim Frettchen sind zwar in der Literatur
zu finden [6], jedoch ist die Messung nicht zielführend, da der beim
Frettchen vorliegende Hyperadrenokortizismus nicht kortisol- sondern
geschlechtshormonbedingt ist [4].
Urinuntersuchungsmethoden beim Kleinsäuger in Abhängigkeit von der Art der Gewinnung.
Ist jeder Urin für alle Untersuchungen geeignet?
Nein! Für welche Untersuchung eine Urinprobe geeignet ist, hängt von der Gewinnungsart ab (Tab. 1).
Bei Verdacht auf eine Blutung ist nur Spontanurin sinnvoll, da sowohl die Blasenkompression (abhängig vom Feingefühl + bis +++ Blut), als auch Katheterisieren oder Punktion (i. d. R. 1+ Blut) zu positiven Protein- und Blutergebnissen führen. Bei Verdacht auf eine bakterielle Zystitis ist nur Zystozenteseurin aussagekräftig, da es hier nicht zu einer Kontamination mit Leukozyten oder Bakterien aus den ableitenden Harnwegen und bei Spontanurin auch aus der Umgebung kommen kann (Abb. 2).
Womit fange ich den Urin auf?
Urinproben für die bakterielle Untersuchung werden mittels steriler Kanüle und Spritze entnommen und dann in sterile Gefäße (z. B. Serumröhrchen ohne Perlen, Urinbecher) überführt. Kleine Urinmengen können auch in Tupferröhrchen mit Medium geben werden. Die Verwendung von Harnröhrchen mit Hemmstoff ist wegen der starken Beeinflussung bei kleinen Urinmengen eher ungünstig. Die Versendung in Spritzen mit aufgesetzten Kanülen ist gefährlich und sollte daher unterbleiben. Urinproben für andere Untersuchungen sollten zumindest in sauberen Gefäßen (Urinbecher, Nierenschale, Spritze) aufgefangen und zur Lagerung in sterile Gefäße überführt werden.
Wie wird Urin gelagert?
Generell sollte Urin möglichst frisch (innerhalb von 2 Stunden) bei Raumtemperatur untersucht werden. Gerade bei Sedimentuntersuchungen kann es sonst zu lagerungsbedingten Veränderungen kommen. Zellen und Zylinder lösen sich auf und Kristalle bilden sich (z.B. Struvit bei basischem pH-Wert) oder werden auch aufgelöst (z. B. bei Azidose) aufgelöst.
Eine Aufbewahrung im Kühlschrank bei + 4 °C ist bis zu 48 Stunden möglich [1]. Gekühlte Urinproben sollen vor der Untersuchung immer auf Rautemperatur gebracht werden, da einige Untersuchungen (Teststreifen, USG) temperaturabhängig sind und damit sich evtl. gebildete Kältepräzipitate auflösen können [7].
Was erkennt man schon makroskopisch?
Kleinsäugerurin ist typischerweise hellgelb bis orange. Gerade bei Herbivoren kommt es aber durch Porphyrine aus der Nahrung unter Sauerstoffeinfluss teilweise zum starken Nachdunkeln, was manche Besitzer als Blut fehlinterpretieren. Das Blutfeld von Teststreifen schafft Klarheit (Abb. 3).
Herbivore (Ausnahme Chinchilla) nehmen Calcium nahrungsabhängig auf und scheiden es überwiegend renal aus. Calciumüberschuss führt im alkalischen Urin (pH 8 – 9) zu leichten Trübungen bis hin zu zähem, lehmigen Sediment („Sludge“), dass sich bei Stehenlassen absetzt (Abb. 4). Ist ein Herbivorenurin klar, sollte unbedingt auf Azidose (pH-Wert < 7) untersucht werden, da es nur da zur Auflösung der Kristalle kommt.
Die Urinuntersuchung ist auch bei Kleinsäugern extrem hilfreich und sollte, gerade wegen der einfachen Durchführung, ein fester Bestandteil der weiterführenden Untersuchungen sein."
Brauche ich ein Refraktometer?
Ja! Die Bestimmung des USG erfolgt beim Kleinsäuger mittels Refraktometer, da humanmedizinische Teststreifen aufgrund ungeeigneter Messbereiche (1000 – 1025) und schlechter Vergleichbarkeit nicht geeignet sind [2]. Wünschenswert ist auch bei Kleinsäugern ein USG > 1025, oberhalb des isostenurischen Bereichs (1008 – 1016). Gerade bei Meerschweinchen und Kaninchen ist das USG aufgrund von Interferenzen an den ADH-Rezeptoren der Sammelrohre (Kalzurie, Infektionen) aber oftmals niedriger (< 1025). Rennmäuse und Hamster als Wüsten- und Steppenbewohner konzentrieren ihren Urin besonders gut (USG > 1040) [4].
Muss der Urin für die Sedimentuntersuchung zentrifugiert werden?
Meist ist eine Zentrifugation des Urins bei Herbivoren aufgrund des hohen Gehaltes an Kristallen und Beimengungen eher ungünstig. Es reicht zumeist ein Tropfen Urin (mit und ohne Methylenblau unter einem Deckglas (Abb. 5)) um Zellen, Kristalle und Bakterien (Bewegung im frischen Urin ohne Methylenblau) gut zu differenzieren. Nur Urin mit sehr niedrigem USG wird 5 Minuten bei 400 g zentrifugiert und der Überstand dann mikroskopisch in der 400-fachen Vergrößerung untersucht (Kondensor unten) [4].
Wie aussagekräftig sind Teststreifen?
Die meisten Urinteststreifen sind aus der Humanmedizin und daher nicht uneingeschränkt beim Tier anwendbar. Fast alle Teststreifenparameter sind beeinflussbar und zu falsch positiven oder falsch negativen Ergebnissen führen (Tab. 2).
Wichtig ist zu hinterfragen, wie die Urinprobe gewonnen wurde (Kontamination), mit welchen Methoden untersucht wurde und ob die Ergebnisse mit der Tierart übereinstimmen."
Welche Kristalle kommen am häufigsten beim Kleinsäuger vor?
Beim Kaninchen bestehen die Kristalle (Abb. 3) aus [8]:
- mehr als 90 % Kalziumkarbonat („Calcit“, polymorph (korn-, hantelförmig etc.))
- weniger als 3 % Kalziumphosphat („Brushit“, schollen- oder lattenförmig, Verwechslung mit Struvit möglich)
- selten Ammonium-Magnesium-Phosphat (1,2 %, „Struvit“, Sargdeckelform)
- selten Kalziumoxalat (0,8 %, „Weddelit“ (briefumschlagförmig)oder „Whewellit“ (zugespitzt, stabförmig)).
Beim Meerschweinchen kommen Kalziumcarbonate ebenfalls am häufigsten vor, jedoch scheint der Anteil an Struvit, v. a. bei weiblichen Meerschweinchen mit Urethrasteinen aufgrund der Beteiligung Urease-produzierender Bakterien, höher zu sein [9]. Struvite können je nach Urin-pH-Wert aber auch nachträglich auf dem Transport entstehen. Bei Tieren mit physiologisch saurem bis alkalischen Urin und bakteriellen Zystitiden, wie Frettchen oder Ratten, kommen Struvite dagegen häufiger vor und können, wie bei Hunden und Katzen durch Urin-pH-Wert-Beeinflussung aufgelöst werden [10, 11].
Kalziumcarbonate und -oxalate in den Harnwegen von Herbivoren mit physiologisch basischen pH-Wert können nicht aufgelöst werden. Die Entfernung erfolgt nur über Hydropulsion, Spülung oder Zystotomie und eine nachfolgende konsequente Umstellung auf kalziumarmes Futter [4].
Fazit
Die Urinuntersuchung ist auch bei Kleinsäugern extrem hilfreich und sollte, gerade wegen der einfachen Durchführung, ein fester Bestandteil der weiterführenden Untersuchungen sein. Wichtig ist zu hinterfragen, wie die Probe gewonnen wurde (Kontamination), mit welchen Methoden untersucht wurde und ob die Ergebnisse mit der Tierart übereinstimmen.
Literatur
- [1] Hein J: Labordiagnostik bei Kleinsäugern: Präanalytik und tierartspezifische Befundung. Hannover: Schlütersche; 2019
- [2] Binder N: Referenzbereiche für Urinparameter bei Kaninchen und Meerschweinchen [Dissertation]: Ludwig-Maximilians-Universität München; 2011
- [3] Reusch B, Murray JK, Papasouliotis K et al.: Urinary protein:creatinine ratio in rabbits in relation to their serological status to Encephalitozoon cuniculi. Vet Rec 2009; 164: 293–5
- [4] Hein J: Urinuntersuchung beim Kleinsäuger – so einfach und doch so aussagekräftig. kleintier konkret 2015; 18: 30–5
- [5] Zaheer OA, Beaufrère H: Treatment of hyperadrenocorticism in a guinea pig (Cavia porcellus). J Exot Pet MEd 2020; 34: 57–61
- [6] Gould WJ, Reimers TJ, Bell JA et al.: Evaluation of urinary cortisol:creatinine ratios for the diagnosis of hyperadrenocorticism associated with adrenal gland tumors in ferrets. JAVMA 1995; 206: 42–6
- [7] Moritz A, Schwendenwein I, Kraft W: Harnapperat. In: Kraft W, Dürr U (Hrsg.): Klinische Labordiagnostik in der Tiermedizin. Stuttgart: Schattauer; 2014: 420–87
- [8] Hesse A, Neiger R: Harnsteine bei Kaninchen. In: Hesse A, Neiger R (Hrsg.): Harnsteine bei Kleintieren. Stuttgart: Enke; 2008: 152–6
- [9] Fehr M, Rappold S: Harnsteinbildung bei 20 Meerschweinchen (Cavia porcellus). Tierarztl Prax 1997; 25: 543–7
- [10] Nwaokorie EE, Osborne CA, Lulich JP et al.: Epidemiology of struvite uroliths in ferrets: 272 cases (1981-2007). JAVMA 2011; 239: 1319–24
- [11] Pang J, Borjeson TM, Parry NM et al.: Struvite Urolithiasis in Long-Evans Rats. Comp Med 2015; 65: 486–91