Praxisreportage in Nantes: "Mon Chat et Moi"
In Frankreich werden VeterinärmedizinerInnen in derzeit vier tierärztliche Universtäten in Alfort/Paris, Lyon, Nantes und Toulouse ausgebildet - die Pläne zur Gründung der ersten privaten Lehranstalt in Rouen warten derzeit auf ihre Umsetzung. Zurzeit sind in der Grande Nation fast 20.000 praktische TierärztInnen tätig, die in 6.500 Tierarztpraxen und -kliniken arbeiten. Rund 20 Tierarztpraxen haben sich auf die reine Behandlung von Katzen spezialisiert - eine davon ist in Nantes im Département Loire-Atlantique beheimatet, in der die Redaktion von KATZENMEDIZIN einen halben Tag zu Gast war.
Keine gewöhnliche Tierarztpraxis
Schon beim Betreten des Empfangsbereiches mit seinen beruhigenden Innenfarben, professionellen Katzenporträts, ätherischen Öldüften und bequemen Stühlen – mit dazugehörenden niedrigen Tischen für Transportboxen – wird klar: Das ist keine gewöhnliche Praxis. Gedichte von katzenliebenden Poeten an den Wänden lassen die Herzen der KatzenbesitzerInnen höher schlagen. „Ich bin ein Perfektionist“, lacht Tierarzt und Praxisgründer Cyril Berg (48). „In meinem früheren Leben als Gemischtpraktiker hatte ich oft das Gefühl, medizinisch nicht das Beste geben zu können. Bei den Katzen kann ich eine höhere Stufe an Medizin praktizieren.“ Cyril gibt zu, eine Leidenschaft sowohl für die Tiere und den dazu gehörenden Kundenservice verinnerlicht zu haben. „Meine Vision war es, eine Praxis mit erstklassigem Service zu entwickeln.“ Seine Inspiration für eine exklusive Katzenpraxis stammt aus den USA und Großbritannien, die er durch Besuche und aktive Teilnahmen an Fortbildungsveranstaltungen der American Association of Feline Practitioners und der International Society of Feline Medicine (ISFM) adaptiert und weiterentwickelt hat. Natürlich besitzt die Praxis das Silberzertifikat Cat Friendly Practice - Cyril plant, im nächsten Jahr die Bedingungen zu erfüllen, die das Goldzertifikat der ISFM fordert.
Drei Standorte im Loiretal
Was die Gestaltung der Praxis angeht, hat der Tierarzt mit einem Architekten zusammengearbeitet. "Wir wollten, dass unsere Praxis funktional, aber auch ästhetisch, optisch ansprechend und einfach ein wenig anders ist“, so der Praxisgründer. Neben Orvault (gegründet 2012) gehört zur Praxisgruppe "Mon Chat & Moi" eine Katzenpraxis in Rezé (2018), während die Eröffnung der dritten Praxis für den Herbst 2021 in Angers geplant ist. „Wir probieren in Angers ein neues Konzept aus und werden dort den Empfangsbereich ohne Rezeptionsschalter, dafür mit einer Reihe von Stehtischen planen, wie man sie in Apple-Stores findet", sagt Cyril Berg, der davon überzeugt ist, dass dieses Konzept "für unsere Kunden einladender wirken wird“. Außerdem wird es eine Besucherecke geben, in der stationär aufgenommene Katzenpatienten mit ihren Besitzer kuscheln können. In den Praxen an den beiden Standorten in Orvault und Rezé werden insgesamt fünf TierärztInnen und sieben Tierärztliche FachangestelltInnen (TFA) beschäftigt. Es gibt keine Rezeptionistin, die TFA übernehmen die verschiedenen Rollen, einschließlich Empfang, chirurgische Assistenz und Zwingerpflege.
Eine längere Beratung ermöglicht, alle potenziellen Probleme aufzudecken und sich Zeit für die Besprechung zu Lebensstil, Verhaltens, Fütterung und der Pflege der Katze zu nehmen."
30 Minuten pro Patient
Sprechstunden dauern bei "Mon Chat & Moi" ganze 30 Minuten. „Bei Katzenpatienten möchte ich nichts überstürzen", erklärt der Tierarzt. "Die BesitzerInnen öffnen sich mehr und geben relevante Informationen, die ich sonst übersehen hätte“. Besonders wichtig ist es, den BesitzerInnen offene Fragen zu stellen. Eine längere Beratung ermöglicht ebenfalls, alle potenziellen Probleme aufzudecken und sich Zeit für die Besprechung zu Lebensstil, Verhaltens, Fütterung und der Pflege der Katze zu nehmen. 60 Euro wird für die halbstündige Beratung berechnet.
Win-Win-Win-Situation
Ist das für manche Besitzer nicht ein bisschen happig? Auf diese Frage antwortet nicht der Tierarzt Berg, sondern der Praxismanager Berg: „Wir müssen Geld verdienen, um unseren Patienten den besten Service bieten zu können. Lediglich 5% unserer KundInnen haben ihre Tiere versichert, jedoch nehmen rund 30% der Kundschaft das Angebot des monatlichen Gesundheitsprogrammes wahr, das eine Verteilung der Tierarztkosten ermöglicht. Das ist eine Win-Win-Win-Situation - für Katzen, KundInnen und Praxis.“ Das Programm bietet ein Angebot für Katzenwelpen im Alter bis 6 Monaten, das Impfungen, Gesundheitschecks, FIV/FeLV-Test, Chip-Kennzeichnung, Kastration und Parasitenbekämpfung für 42 Euro (männlicher Welpe), bzw. 46 Euro (weiblicher Welpe) pro Monat beinhaltet. Die "Pauschale für erwachsene Katzen wird in drei Servicestufen („comfort“, „bien-être“ und „sérénité“) angeboten und kostet monatlich zwischen 18 und 57 Euro. Krankheiten und Unfälle werden selbstverständlich separat abgerechnet und bezahlt.
Meine Vision ist es, diese Art von tierärztlichem Service auszuweiten und in den kommenden Jahren 15 bis 20 Katzenpraxen zu eröffnen“
Telemedizin & Kundenkommunikation
Und was ist mit Telemedizin? „Wir praktizieren Web-Beratungen, die
besonders bei Verhaltensproblemen, aber auch bei dermatologischen Fällen
sinnvoll sind.“ Berg fügt hinzu, dass damit auch der oft stressige Transport der Katze in die
Klinik vermieden wird. Jedoch ist es in Frankreich verboten, die Erstberatung über Video anzubieten. Die Praxis benutzt auch die APP Linkyvet, eine Plattform für
Online-Beratungen und Kundeninteraktionen. Berg nutzt jedoch hauptsächlich
die Chat-Funktion, um den Kontakt mit den KundInnen zu halten. Alle TierärztInnen und HelferInnen nutzen diesen zur internen und externen Kommunikation. „So sind alle Praxismitarbeiter auf dem Laufenden, was Fragen der HalterInnen und oder Kommentare unserer KundInnen angeht.“ Wer sich in Deutschland für dieses System interessiert, kann sich an Raphael Witte von Ruhmservice Consulting in Wegberg wenden.
„Für Termine benützen wir das Online-Terminsystem CaptainVet. Darüber hinaus haben wir derzeit eine Person angestellt, die für die sozialen Medien zuständig ist, Content erstellt und Geschichten sucht und Bilder für die Praxiskonten auf Facebook und Instagram macht. Durch die Sozial-Media-Arbeit wird einerseits die Sichtbarkeit in der Kundschaft gestärkt, zusätzich verschaffen sich Veterinärstudierende und junge KollegInnen einen Eindruck unserer Praxen und der Arbeit, die wir leisten.“
Soft Skills machen den Unterschied
Wie in den meisten europäischen Ländern sind junge TierärztInnen nicht leicht zu finden. „Was wir erwarten von zukünftigen MitarbeiterInnen? Jemand mit guten Sozialkompetenzen, da gute Beziehungen zu Mitarbeitenden und KundInnen unerlässlich sind. Solche sogenannten 'Soft Skills' sind letztlich entscheidend und viel schwieriger zu erlernen als fehlende Fachkenntnisse oder Techniken“, sagt der Tierarzt, der versucht, an den Standorten ein gutes Arbeitsklima zu schaffen. Alle zwei Monate gibt es ein persönliches Coaching für angestellte TierärztInnen, jeden Monat ein persönliches Gespräch mit den Praxisleitern und darüber hinaus finden wöchentliche Mitarbeitergespräche statt. „So können wir Probleme angehen, bevor sie entstehen.“
Ziele in der Zukunft
Und nach Orvault, Rezé und Angers, was kommt als nächstes? „Meine
Vision ist es, diesen tierärztlichen Service auszuweiten und in den kommenden Jahren 15 bis 20
Katzenpraxen zu eröffnen.“
Autorin dieses Beitrages ist die Tierärztin Karin de Lange, die in Paimpont in der Bretagne die Kommunikationsagentur für Veterinärmedizin - "aksent" - betreibt. Zu ihren Kunden zählen europäische Veterinärorganisationen, Expertengruppen, Verlage und Mitglieder der Tiergesundheitsindustrie.